Das Portrait: Vikorianisches Sexsymbol
■ Graf Dracula
Untot und höchst lebendig: Graf Dracula Foto: Archiv
Ein Bündel Knoblauch hätte Dracula sicher nicht gefreut, auch nicht zum 100. Geburtstag. 1897 veröffentlichte der 1847 in Dublin geborene irische Schriftsteller Bram Stoker seinen Roman des transsilvanischen Grafen, der als blutsaugender Wiedergänger nachts aus dem Sarge aufersteht. Er machte den Untoten aus den Südkarpaten weltberühmt. Stoker starb 1912 und hat den kometenhaften Aufstieg seines Vampirs zum Stummfilmstar nicht mehr miterlebt. Die anderen vier Romane des peniblen, arbeitsamen, rothaarigen Hünen, der vor allem als Impresario des Shakespeare-Darstellers Henry Irving Erfolg hatte, sind in Vergessenheit geraten.
Den Stoff für den scheindokumentarischen Roman kannte Stoker nur vom Hörensagen. Die verklausuliert verklemmte Sexualität von Kuß, Biß und Pfahl ist ihm, steht zu vermuten, im viktorianischen England nicht bewußt geworden. Auf dem Balkan geistert der Vampir seit der Antike durch den Volksglauben. Historisch bezieht er sich auf die Hospodaren Vlad und Vlad Tepes, genannt Dracul, der „Pfähler“, die im 15. Jahrhundert als Fürsten der Walachei und blutrünstige Schlächter gegen die Türken kämpften. Vlad Tepes allerdings soll wesentlich grausamer gewesen sein als sein phantastischer Nachfahre und einmal auf einen Schlag 20.000 türkische Gefangene gepfählt haben. Der Glaube an den Vampirismus aber ist älter. Die Lamien, wildgewordene, weibliche Schreckensgeister, saugten schon im Griechenland der Antike kleinen Kindern den Lebenssaft aus. Zoologisch ist der Vampir eine Fledermaus und nicht in Europa, sondern in den amerikanischen Tropen und Subtropen zu Hause. Mit ihren Zähnen ritzt sie die Adern schlafender, großer Säugetiere an und leckt das austretende Blut ab. Ähnliche Überlebensstrategien hat auch eine Finkenart auf den Galapagosinseln zur Nahrungsergänzung. Sie hält sich dort an größere Vögel. Zum Geburstag ist Dracula, Horrorwesen aus dem 19. Jahrhundert, in unseren Breiten allerdings ganz schön auf den Hund gekommen. Kleine Plüschvampire und niedliche Vampis aus Plaste und Elaste sind sein unaufhaltsamer Untergang aus dem Reich der Untoten in den Hades der Kinderzimmer. Wir gratulieren! Und zur Geburtstagsfeier lädt bis zum Sonntag auch die Phantastische Bibliothek in Wetzlar mit dem Kongreß „Draculas Wiederkehr“. Heide Platen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen