Solidarność setzt auf Sieg

Das rechte Wahlbündnis der polnischen Gewerkschaft wirbt mit Gottesfürchtigkeit, Patriotismus und Familiensinn um Stimmen für die bevorstehenden Parlamentswahlen  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Marian Krzaklewski reckt das Kinn in die Höhe, stemmt die eine Hand in die Taille, ballt die andere zur Faust und reißt sie in die Luft: „Wir siegen!“ Ein Meer aus Transparenten und rot-weißen Flaggen brandet an das Podest: „Wir siegen“! brüllt die Menge dumpf und in tausendfachem Echo zurück.

„Duce“ nennen Freunde wie Gegner den Nachfolger des legendären Arbeiterführers Lech Walesa auf dem Chefsessel der Gewerkschaft Solidarität. Am 21. September will die Wahlaktion Solidarność mit Krzwaklewski an der Spitze die polnischen Parlamentswahlen gewinnen. Die Chancen für einen Machtwechsel in Polen stehen tatsächlich nicht schlecht: Umfragen zufolge gilt die Wählergunst vor allem den zwei großen Wahlbündnissen: der oppositionellen Wahlaktion Solidarność (AWS) und dem postkommunistischen Demokratischen Linksbündnis (SLD), das zusammen mit der Bauernpartei (PSL) die Regierung stellt. Beide Bündnisse können – je nach Wahlbeteiligung – mit einem Ergebnis von 20 bis 30 Prozent rechnen.

Die Gewerkschaft, die vor zehn Jahren den politischen Wandel in Polen erkämpft hatte, war in den früheren 90er Jahren in eine tiefe Krise geraten und hatte sich in zahlreiche kleine und miteinander rivalisierende Grüppchen aufgelöst. Die Mitgliederzahl schrumpfte von zehn Millionen auf bis heute 700.000 Mitglieder zusammen.

Doch auch mit „nur“ 700.000 Mitgliedern ist die Gewerkschaft eine mächtige Organisation. Außerdem verfügt sie über gut ausgebaute Organisationsstrukturen, die bis ins letzte Dorf reichen. Krzaklewski lockte mit der „Teilhabe an der Macht“ und diktierte die Bedingungen: Die Hälfte aller Vorstandssitze haben Gewerkschafter inne, Entscheidungen müssen mit einer Mehrheit von 75 Prozent getroffen werden. Im Falle einer Nichteinigung entscheidet der Boß. Das „Wunder“ gelang: Über drei Dutzend kleine und mittlere konservative Gruppen und Parteien haben sich in der Wahlaktion Solidarność zusammengeschlossen.

Daß ausgerechnet der Mann, der 1993 die liberal-konservative Regierung Hanna Suchockas durch ein Mißtrauensvotum gestürzt und damit den Postkommunisten zur Macht verholfen hatte, die Rechte des Landes einen würde, können Krzaklewskis Gegner bis heute nicht verstehen. Doch Krzaklewski hat nicht nur eine hohe Frustrationsschwelle, er versteht es auch, jede Niederlage in einen Sieg umzuwandeln. Der „Pastell-Diktator“, wie Krzaklewski wegen seines Führungsstils und seiner Vorliebe für schicke Kleidung gern genannt wird, weiß, daß er als promovierter „Eierkopf“ mit Zahlenakrobatik und Logik keine Volksmassen hinter dem Ofen hervorlocken kann. Angesagt sind Gottesfürchtigkeit und Patriotismus, Familiensinn und Verständnis für die Sorgen der kleinen Leute. Besonders gut scheinen bei seiner Klientel pathetische Leerformeln anzukommen, in denen er christlich-absolute Werte beschwört. Zwar schießt er von Zeit zu Zeit über das Ziel hinaus, doch letztlich schadet dies nicht seiner Popularität. Als er vor einigen Wochen in einem Rundfunkinterview zum Thema Abtreibung forderte, daß auch eine vergewaltigte Zwölfjährige das Kind austragen müsse, ging ein Stöhnen durch das Land. Und als er die Bischofskonferenz aufforderte, gegen die Kompromißverfassung von Postkommunisten und Opposition Front zu machen und Jesus Christus zum „König Polens“ auszurufen, mahnte ihn das Episkopat zum erstenmal ab. Krzaklewski ging zur Beichte, und die Sache war wieder in Ordnung.

Zur Parlamentswahl tritt die AWS mit einem 21-Punkte-Programm an, das einem staatlichen Beglückungsplan gleicht: Eltern sollen Steuererleichterungen zugestanden werden, alle Arbeiter endlich einen freien Samstag haben, Rentner wie Richter sollen mehr Geld bekommen, Polizei und Armee reformiert werden – sogar die Bauern und deren Familienhöfe, um die sich sonst kaum eine Partei kümmert, sollen vor „unehrlicher“ Konkurrenz geschützt werden.

Letztendlich wird es aber weniger darauf ankommen, wer die Parlamentswahlen gewinnt, sondern wer die stabilste Koalition aushandelt. Die „heiße Phase“ des Wahlkampfs hat daher gerade mal lauwarme Temperatur erreicht. Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen.

Als Koalitionspartner bietet sich für die AWS vor allem die rechtsnationale Bewegung für den Wiederaufbau Polens mit dem ehemaligen Regierungschef Jan Olszewski an der Spitze an, die das Land nach der Zeit der „Kommune“ am Abgrund und von KGB-Agenten regiert sieht. Ein anderer möglicher Partner ist die liberale Freiheitsunion der früheren Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki und Hanna Suchocka. In der Wirtschaftspolitik steht sie allerdings den Postkommunisten näher als der AWS. Bleibt die Bauernpartei, bisher Koalitionspartner der SLD. Von ihr heißt es , sie gehe mit jedem ins Bett, wenn sie nur an der Macht bleibt.