Achtung, Achtung, jetzt tritt ein Idiot auf

■ Matthias Altenburgs „Landschaft mit Wölfen“ erzählt von Menschen, die gerne echte Metzelfilme aus Ruanda gucken, während Blondinen nackt im Pool baden

Will ein Schriftsteller mit seinem ersten Roman erfolgreich sein, beginnt er mit einer konzertierten Aktion. Wenn er Glück hat und ein paar Leute kennt, wie der 38jährige Autor, Journalist und ehemalige Lektor Matthias Altenburg, funktioniert das zuweilen ganz gut. 1992, zeitgleich mit seinem Erstlingsroman „Die Liebe der Menschenfresser“ hatte der Frankfurter im Spiegel seine vielbeachtete Abrechnung (wie man so sagt) mit der deutschen Gegenwartsliteratur veröffentlicht. Ein Text, so originell wie alle Diskussionen über so superinteressante Fragen wie den allgemeinen Gemütszustand und Unterhaltungswert der deutschen Gegenwartsliteratur, die man angeknallt, ein bißchen müde, eher desinteressiert und genervt am späten Abend in netter Runde führt. Wer Schriftsteller ist, beschimpft dann noch seine Autorenkonkurrenten mit peinlichen Diminuitiven: „Schulmeisterleins“ – nun ja.

Altenburg geht es also ums actionreiche Erzählen und „die dicke Mama, die wir uns angewöhnt haben, das Leben zu nennen“, um die „dirty places“, wo Bisse und Küsse so schwer zu unterscheiden sind, um eine Literatur, die einen „auf allen Ebenen des Menschlichen anzurühren versteht“, den Leser „klüger“ und „schöner“ macht usw. usf. Ist wahrscheinlich alles richtig, klingt aber scheiße und ist deshalb natürlich total falsch.

In „Landschaft mit Wölfen“ läuft nun ein Junggeselle um die 30 in der Tradition von Dostojewskis „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“ sieben Tage lang ziemlich lebensunlustig durch Frankfurt. „Es ist immer das Gleiche“, heißt es am Anfang seines inneren Monologs; am Ende steht ein Amoklauf, von dem – Raffinement, Raffinement – nicht so ganz klar ist, ob sich der Held der Geschichte das alles nun vorstellt oder ob das nun tatsächlich so passierte.

Zwischendrin assistiert er eher teilnahmslos einem Freund, der auf dem Friedhof eine Oma ausraubt, schaut aus dem Fenster auf die Fenster gegenüber, besucht eine senile Nachbarin, agiert gemeinschaftszerstörerisch auf einigen Parties, ist sehr gemein zu den Frauen, mit denen er schläft, und besucht seine Mutter, die sowenig zu erzählen weiß wie er selbst. Heiß ist es durchgehend und Sommer 1993 wohl, was sich nachprüfen ließe, denn Altenburg hat aktuelle Meldungen eingestreut. Die Hitze paßt ja auch sehr gut (seit Camus und Spike Lee) zu einer in Richtung Gewaltausbruch tendierenden existentiellen Gleichgültigkeit des irgendwie doch auch sensiblen Helden. Liest sich alles ganz gut weg, so wie sich jede Vorabendserie ganz gut weggucken läßt. Nur berührt es nicht allzusehr. Es ist das Leben, das fehlt, oder wenigstens doch die getriebene Phantasie. Der Held interessiert einen nicht. Und seine Genervtheiten über die Idiotien der anderen wiederholen die kaum glaublichen Klischees, in denen die Leute sprechen, denen der Held begegnet. Klischees mit Ansage. Achtung, Achtung, jetzt tritt ein Idiot auf. Das liest sich dann so, wenn der Held einem Trottel auf einer Trottelparty begegnet: „Einer erzählt mir was von der Boheme. (...) Er ist dünn und trägt eine John-Lennon- Brille. München, Paris, Berlin, Schwabing, Montmartre, das Romanische Café. Das war was, sagt er. Später die Beatniks. Kerouac, Ginsberg, dann Burroughs. (...) Heute sei alles so fad. Das echte, wirkliche Leben gebe es nicht mehr. Selbst das Blut schmecke nicht mehr nach Blut. (..) Ich frage ihn, was er will. ,Leben, Leben‘, sagt er. (..) Er sagt, er sei Lyriker. ,Wenn du Bukowski kennst, weißt du, wie ich schreibe.‘“ Manche flüstern bei der Party aufgeregt, daß gleich der „Dany“ oder der „Joschka“ kommen würde; andere gucken gerne Snuff-Filme aus dem Bürgerkrieg in Ruanda, „garantiert echt und noch dazu von Profis mit digitalen Kameras und Kunstkopfmikrofonen aufgenommen“; eine dumme Blondine badet nackt im Swimmingpool.

So führt Altenburg schätzungsweise dreißig Leute auf 160 Seiten vor. Die interessieren einen so wenig wie im wirklichen Leben, wenn die sich da tatsächlich rumtreiben sollten. Die einzelnen Szenen, Zeitungsmeldungen, Notizen aus dem Real Life des Sommers 93 sind dann zwar wieder Wirklichkeit, haben aber im Buch keine andere Funktion, als mit echter Wirklichkeit zu prahlen. Allzu deutlich erkennt man in Altenburgs aufgesetzt knappen Sätzen, in seiner Sehnsucht nach besonders großen Fiesheiten, die Absicht und auch die amerikanischen Vorbilder. Bret Easton Ellis „American Psycho“ ist zwar auch sehr kalkuliert geschrieben, nur eben um einiges spannender. Die Schlichtheit von „Landschaft mit Wölfen“ hat zuweilen etwas Erschreckendes. Altenburg sollte vielleicht besser Drehbücher für den Marienhof schreiben. Detlef Kuhlbrodt

Matthias Altenburg: „Landschaft mit Wölfen“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, 160 Seiten, 29,80 DM