Die (Ohn-)Macht der Bilder

■ "Fernseh-Fieber": "Fernsehkanonen - Televisionen im 3. Reich" (23.25 Uhr, 3sat)

Hätten die Nazis womöglich den Krieg gewonnen, wenn sie das Fernsehen schon gehabt hätten? Oder hätte, andersherum, die Flimmerkiste aus dem Volk von Mitläufern vielleicht ein Heer von Widerstandskämpfern oder doch zumindest befehlsverweigernden Couchpotatos gemacht? Eine dieser ebenso grotesken wie müßigen Fragen zu bejahen, würde selbst dem durchgeknalltesten Kriegs- und Medientheoretiker nicht einfallen. Dennoch ist die Spekulation, wie ein gewiefter Propagandastratege wie Goebbels die flimmernden Bilder benutzt hätte, wenn er sie damals denn gehabt hätte, keine uninteressante. Andererseits: Er hatte sie. Und wiederum auch nicht.

Wie Bernd Lampe in seiner Dokumentation im Rahmen der 3sat- Medienreihe materialreich darlegt, war die technische Entwicklung des Fernsehens schon Ende der 20er Jahre so weit gediehen, daß ein Sendebetrieb im Prinzip möglich war. Und im März 1935 war es dann auch soweit mit der „Eröffnung des ersten regelmäßigen Fernsehprogrammdienstes“. Die Fernsehberichterstattung über die Olympiade 1936 wurde dank eigens hierfür entwickelter Kameras, „Fernsehkanonen“ genannt, zur technischen Großtat in Sachen Live-Übertragung. Und wenig später gelangten auch die telegenen Inszenierungen der Reichsparteitage in Nürnberg direkt auf die Bildschirme. Was den Ingenieuren der neugegründeten „Fernseh AG“ für die Nazis nicht schnell genug gelang, war die Entwicklung eines preiswerten Empfangsgerätes für das neue Medium. Was Goebbels bekanntlich dazu veranlaßte, für seine Propaganda ganz auf den Hörfunk zu setzen, der ein solches Gerät in Gestalt des „Volksempfängers“ bereits zu bieten hatte. Die Fernsehtechnik diente seit Kriegsbeginn dezidiert militärischen Zwecken. Aber auch das Fernsehen im herkömmlichen Sinn gab es durchaus weiterhin. In den Fernsehstuben und als sogenanntes „Lazarettfernsehen“.

Erstaunlich mutet indes an, daß Goebbels höchstselbst damals angeordnet hatte, daß das Fernsehprogramm (im Gegensatz zum Hörfunk) von jeglicher Politik, sprich Propaganda, frei bleiben und ausschließlich der Unterhaltung und Zerstreuung dienen sollte. Möglich, daß Goebbels ein intuitives Mißtrauen gegen die bewegten Bilder hatte, weil ihm irgendwie dämmerte, daß sich diese womöglich weit weniger instrumentalisieren und in ihrer Wirkung kontrollieren lassen als das Radio. Denn sobald das Bild ins Spiel kommt, werden die Augen der Zuschauer unweigerlich zu vagabundierenden Freigängern, weshalb die Frage nach dem Informationsgehalt des Fernsehbildes noch keine Rezeptionsforschung schlüssig ergründet hat.

Zwar läßt sich minutiös darlegen, wer wann wohin oder völlig abgeschaltet hat. Aber ist das Warum schon kaum noch zu ermitteln, kapitulieren die Herren der Kurven nach wie vor, wenn es um die entscheidende Frage geht, in welchem Maße sich aus den mühseligen Analysen auch nur halbwegs verläßliche Prognosen für quotenträchtige Programme ableiten lassen. Offenbar aktiviert hier jeder Couachpotato per Fernbedienung ein anarchisches Restpotential, vor dem jeder Propagandastratege letztlich kapitulieren muß – der für Tütensuppen ebenso wie der für irgendeine Politik. Natürlich werden Wahlen heute per Bildschirm entschieden. Nur sobald einer anfinge, in seinen Programmen politische Lehrstücke zu senden, wäre die Quote im Keller. Man mag es frustrierend finden, das eine Absetzung von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ wahrscheinlich mehr Menschen auf die Straße bringen würde als irgendeine Politik. Aber was die Verfügbarkeit des Mediums angeht, hat der Umstand fraglos auch etwas Tröstliches. Reinhard Lüke