Fräse statt Risotto

■ Sonderbares Doppel: Einstürzende Neubauten und Ninos Con Bombas

Dutzende, ach was, Hunderte von Mädchenherzen können bezeugen, daß Ninos Con Bombas Hamburgs schönste Boygroup sind. Aber es hat nichts geholfen: Kurz vor dem Veröffentlichungstermin ihres Debütalbums hat ihre deutsche Plattenfirma kalte Füße bekommen. Weil sie nachgerechnet haben, vermutet das Ma-nagement. Weil sie es nicht verstanden haben, sagt die Band. Wahrscheinlich stimmt beides. Wahrscheinlich hat die Intercord einfach festgestellt, daß das chilenisch-brasilianisch-deutsche Trio komplexer ist, als das Etikett, unter dem sie die Band eingekauft haben, zuerst vermuten läßt.

The Clashs „Sandinista“, das Gegeneinander von afrocubanischem Offbeat und Punk-Überschwang, die ironisierte Rock-Saga vom armen Latino, der ein Gringo sein will – die Ninos Con Bombas haben sich mit dem Begriff „Latin Punk“kopfüber in alle möglichen Widersinnigkeiten gestürzt. Das hat ihre Musik reich und wild gemacht, aber auch zappelig. Weil sie mit Popkultur keinen lässigen Umgang pflegen, passen sie nicht in den Pudels Club, und die spanischsprachigen Green Day sind sie schon gar nicht.

Daß ausgerechnet diese Band das Vorprogramm für die Einstürzende Neubauten-Tour bestreitet, ist zwar gewagt, aber auch sympathisch: Zumindest eine Supergroup der Achtziger verzichtet darauf, sich mit einem „Spex empfiehlt“-Act der Neunziger zu schmücken. Überhaupt muß nach all dem faulen Atem, der den Neubauten anläßlich ihrer letzten Platte Ende Neu entgegengeschlagen ist, einmal gesagt werden: Keinem Menschen ist jemals ein Risotto so übelgenommen worden wie Blixa Bargeld jenes, welches er in Bioleks TV-Studio gekocht hat. Sollte er noch als 40jähriger in Berliner Luftschutzkellern aus Beton herumturnen und „Ich sterb an Skorbut!“greinen? An den Remixen, die Figuren wie Jon Spencer oder Panacea von den „Ende Neu“-Tracks gefertigt haben, läßt sich schön studieren, daß nicht das Feinschmeckertum in Sound und Installation gediegen wirkt, sondern eher die Verkündergeste, die Bargelds Gesang schon immer anhaftete und die heute zum ana-chronistischen Selbstzitat geworden ist.

Ob laut oder leise: Die Neubauten sind musikalisch immer Atmosphäriker gewesen. Trotzdem und zur Beruhigung: Aus Moskau erreicht uns die Nachricht, daß die Band ohne ihren ausgestiegenen Metallurgiker und Bühnenderwisch FM Einheit nicht etwa leiser, sondern lauter geworden ist. Und daß die neuen Mitglieder Jochen Arbeit, Jürgen Schober (beide Die Haut) und Ash Wednesday (!) nicht nur zu den Gitarren, sondern auch gerne mal zu Fräse und Starkstromkabel greifen.

Christoph Twickel

Do, 18. September, 19 Uhr, Docks