: Am liebsten alles auf einmal
■ Workshops, Diskussionen und dreißig Inszenierungen: Heute beginnen die zweiten Werkstatt-Tage der Berliner Freien Theater im Probenhaus Mitte
Mit seiner Figur Zettel hat sich Shakespeare einen echten Nervklotz ausgedacht. Undiszipliniert und renitent lärmt Zettel durch den „Sommernachtstraum“ und will überall mitmachen – vor allem beim Theater. Am liebsten hätte er gleich alle Rollen auf einmal und kräht: „Laßt mich den Löwen auch spielen!“
Zettels Löwen-Spruch haben die zweiten Werkstatt-Tage der Freien Theater zu ihrem Motto erklärt. So ist's recht: Die freie Szene Berlins wird viel zu oft als kulturelles Grundrauschen zwischen zwei Weizenbieren hingenommen, da darf sie ruhig einmal vorlaut werden. Ab heute gibt es darum zehn Tage lang rund um das Probenhaus Mitte die volle Off-Dröhnung – Workshops, ein bißchen Rahmenprogramm und dreißig Gruppen plus Inszenierungen.
Darunter finden sich sogar einige Premieren: Die Compagnie Drehmoment zeigt am Sonnabend, 27. September, zum ersten Mal ihre Parodie „Nach Kafka“ – locker angelehnt an Kafkas „Bericht für eine Akademie“. Die Stiftung Theater gibt am Mittwoch davor „Sokrates und Kriton sind Dick und Doof“, ein auch nicht besonders ernst gemeintes Spiel um die letzte Nacht des Philosophen in seiner Athener Zelle.
Werkstatt-Tage, das heißt: den ganzen Tag Theater. Johanna Schall bietet morgens einen Regie- Workshop an, nachmittags gibt es – ausführlicher als bei der ersten Off-Schau im letzten Jahr – Kindertheater zu sehen. Regelmäßig um sechs Uhr werden unter dem abschreckenden Namen „Theaterplausch“ im Probenhaus Talk- und Info-Runden veranstaltet: zu Brotthemen wie „Kostenmanagement und Öffentlichkeitsarbeit“ (21. September) oder den „Untiefen des Theatergeschäfts“ mit Gerd Hunger vom SPOTT-Verein (24. September).
Am Abend gibt es dann auf zwei Bühnen im Probenhaus, im Schokoladen, Acud, Jojo und im Stillen Museum Inszenierungen zu sehen, die in den letzten Monaten entstanden sind: „Romeo und Julia“ als gender study vom Theater Acud zum Beispiel; die jiddische Tragikomödie „Zorres“ vom Puppentheater Kaleidoskop; oder die „Med.USA/Schändung“ von Pathos Transport Berlin.
Wie Shakespeares Zettel möchte man überall dabeisein – wenn schon nicht mitmachen, dann wenigstens alles angucken. Allerdings darf man sich wundern, warum das Off-Festival, das vom rührigen Kulturamt Mitte und dem Probenhaus-Verein veranstaltet wird, überhaupt noch sogenannte Höhepunkte braucht. Wie Walter Schmidingers Karl-Valentin- Abend aus dem Repertoire des Deutschen Theaters beispielsweise oder den recht untheatralischen Link zum Auguststraßen- Fest am nächsten Wochenende, das kurzerhand ins Programm eingebunden wurde.
Aber Vernetzung ist nun mal angesagt – und darum gibt es dann zum Schluß auch ein großes Kombinationsspektakel. Acht der beteiligten Gruppen studieren unabhängig voneinander Szenen aus Molières Heuchler-Komödie „Tartuffe“ ein und basteln daraus eine Collage. Das könnte lustig werden. Oder vielleicht auch ganz ernst, glaubt man dem (in etwas verbiestertem Ton gehaltenen) Programmheft: „Der Zuschauer wird einige Szenen mehrfach sehen und daher interessante Vergleiche anstellen können.“ Kolja Mensing
Ab heute im Theaterprobenhaus, Am Koppenplatz 3–4 (Mitte),
Tel.: 28598430
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen