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Was die UNO im Kongo nicht sehen darf

Vor allem im Osten Kongos eskaliert die Gewalt zwischen kongolesischem und ruandischem Militär und Tutsi-feindlichen Milizen. Zu Tausenden werden Zivilisten getötet oder vertrieben  ■ Von François Misser

Krieg und Massaker bestimmen den Alltag in Teilen der Demokratischen Republik Kongo vier Monate nach dem Sieg der „Allianz Demokratischer Kräfte zur Befreiung des Kongo“ (AFDL) unter Laurent Kabila. In der Hauptstadt Kinshasa verschärft sich die Repression gegen politische Gegner, und im Osten des Landes, an den Grenzen zu Burundi, Ruanda und Uganda, herrscht Gewalt.

Schon ab Ende Juli eskalierte westlich von Goma an der Grenze zu Ruanda der Konflikt um die Kontrolle der fruchtbaren Masisi- Hochebene. Die Regierung Ruandas wollte hier Tutsi-Viehzüchter ansiedeln – Ruander und nach Ruanda geflohene zairische Tutsi. Die davon betroffenen Bahunde und Banyanga strömten zu den lokalen Mayi-Mayi-Milizen – Sammelbegriff für bewaffnete Stammesmilizen, die überall in dieser Gegend existieren. Die Mayi-Mayi eroberten Teile des Masisi-Plateaus zurück, wurden dann aber von aus Ruanda eingerückten Truppen wieder vertrieben. Das berichtet gegenüber der taz Daniel Mayele, Generalsekretär der eigentlich mit Kabila verbündeten Partei „Kongolesische Nationalbewegung/Lumumba“ (MNC-L). Die „Invasoren“ aus Ruanda hätten blutige Rache genommen: So seien in Nyabiodo im Bahunde-Gebiet alle Wohnhäuser in Flammen aufgegangen, das Dorf Luashi sei ausgelöscht worden. Mayele spricht von „Hunderten von Leichen“.

Von diesen Vorfällen beunruhigt, schickte Präsident Kabila im August eine Untersuchungskommission in die Region. In seinem Bericht an Kabila berichtet ein Kommissionsmitglied von nächtlichen Grenzübertritten der ruandischen Armee nach Goma und deren Vormarsch nach Masisi, „um die von den Mayi-Mayi getöteten Brüder zu rächen“. Der Bericht fügt hinzu, daß die Mayi-Mayi zusammen mit ruandischen Hutu- Milizionären kämpfen.

„Kinder in brennende Häuser geworfen“

„Nach den uns vorliegenden Informationen, vor Ort nachprüfbar, wird wahllos getötet“, heißt es in dem Bericht. „Männer, Frauen und alte Leute werden mit Gewehren und Macheten liquidiert und die Kinder in brennende Häuser geworfen. Ganze Dörfer werden angezündet.“ Die Ruander setzten Artillerie und Raketen ein.

Als einen Auslöser für die Gewalt nennt der Bericht „die Ersetzung einheimischer Stammeshäuptlinge durch neue Verantwortliche, sämtlich Tutsi“. So hätten beispielsweise Tutsi-Soldaten Dorfchefs der Tembo-Ethnie öffentlich gedemütigt, woraufhin Mayi-Mayi-Kämpfer 150 Tutsi- Soldaten umgebracht hätten. Es komme auch vor, daß die Bevölkerung die Anwesenheit ruandischer Hutu-Kämpfer den Behörden melde und dann die kongolesische Armee eingreift – und „die Bevölkerung massakriert, nachdem sie ihr Komplizenschaft vorwirft“.

Ähnliches geschieht offenbar weiter nördlich. Laut Daniel Mayele gab es Anfang September in den Städten Beni und Butembo einen Generalstreik, nachdem Tutsi- Soldaten angeblich zwei Jugendliche des Nande-Volkes umbrachten. Auch hier sind Tutsi Angriffsziel der Mayi-Mayi. An Straßensperren seien heute keine Tutsi- Soldaten mehr zu sehen, weil – wie Mayele die Aussage eines Freundes wiedergibt – „die Löwen aus dem Busch gekommen sind und sie gefressen haben“.

„Löwen“ – „Simba“ auf Suaheli – ist in dieser Gegend ein Synonym für Rebellen. Die lumumbistische Rebellion, die hier schon in den 60er Jahren gegen Mobutu kämpfte, nannte sich „Simba“. Die Mayi-Mayi bestehen oftmals aus Söhnen der damaligen Guerilleros, die überzeugt sind, einen zweiten Befreiungskrieg zu führen – gegen „die Ruander“.

In dieser Situation leidet zunehmend die Tutsi-Bevölkerung. 3.300 kongolesische Tutsi flohen am Wochenende nach Ruanda, Tausende andere haben sich in Goma versammelt. Zugleich werden die Ruander abgezogen und durch Kongolesen ersetzt.

Auch weiter südlich weitet sich der Bürgerkrieg aus. Nach Berichten der belgischen Zeitung Le Soir kontrolliert Kabilas Armee in der Provinz Süd-Kivu nur noch die Städte Uvira und Bukavu. In einem der taz vorliegenden Schreiben aus Bukavu vom 11. September wird berichtet, eine Mayi-Mayi-Miliz namens „Katuku“ habe der Armee „schwere Niederlagen“ zugefügt, so daß jetzt auf dem Luftweg schwere Waffen eingeflogen würden. Das Schreiben nennt als einen Grund für die Gewalt die „Desorganisation“ der Armee. Die Tutsi-Soldaten begingen zahlreiche Übergriffe, unter anderem weil sie seit dem Ende des Krieges gegen Mobutu nicht bezahlt worden seien. Zuweilen sympathisierten Soldaten anderer Ethnien mit den Rebellen, die wiederum wie um Goma mit ruandischen Hutu- Milizionären zusammenarbeiteten. „Die Rebellenkämpfer haben einen griffigen Slogan gefunden, in dem sie behaupten, kein Ziel zu haben außer der Vertreibung der Tutsi nach Ruanda“, heißt es.

In anderen Landesteilen geht die Regierung Kabila ebenfalls hart gegen ihre Gegner vor – zum Beispiel gegen die einstige Oppositionspartei „Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt“ (UDPS), die sich nach Kabilas Sieg spaltete. 19 UDPS-Aktivisten, die am 15. August nach einer Demonstration in Kinshasa verhaftet wurden, sind wegen Unterernährung und Erkrankung dem Tode nahe; drei von ihnen lagen Anfang September bereits im Koma. Amnesty international spricht ferner von Hunderten außergerichtlichen Hinrichtungen in verschiedenen Landesteilen. Der Chefredakteur der Zeitung Le Phare wurde verhaftet, weil er schrieb, daß Kabilas Armee die Nachfolge von Mobutus gefürchteter Präsidialgarde angetreten hätte. Unter diesen Bedingungen gewinnt die Behinderung des UN-Teams zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen durch die Behörden zusätzlich an Bedeutung.

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