■ SPD-Politiker fordern Führerscheinentzug für Ladendiebe
: Auge um Bein, Bein um Auge

Wer auf dem Basar von Dubai einen Krummdolch klaut, muß bluten. Nach islamischem Recht darf dem Dieb die Hand abgeschlagen werden, auf daß sie nicht mehr nach fremdem Eigentum greifen kann. Nach abendländischer Rechtsprechung sind solche Blutgerichte archaische Überreste einer Gesellschaftsordnung, die nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ verfährt. Die einzigen Delikte, die in den modernen Gesellschaften noch nach alttestamentarischen Prinzipien geahndet werden, sind Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Wer permanent rote Ampeln überfährt, sich als Geisterfahrer in Einbahnstraßen qualifiziert und in der verkehrsberuhigten Wohnschlafzone auf 100 km/h aufdreht, wird nicht nur anonymes Geld, sondern auch den privaten Führerschein los. Dieses Überbleibsel des Auge-um-Auge-Prinzips leuchtet jedem ein. Verkehrsrowdies gehören aus dem Verkehr gezogen, auch wenn der Verlust der Pappe den Betroffenen so schmerzen sollte wie den Dieb in Dubai der Verlust der Hand.

Jetzt möchte man diesem letzten Überbleibsel archaischen Rechts in Deutschland auch noch die Exklusivität rauben. Rechtspolitiker aller Fraktionen flirten damit, den Führerscheinentzug zur Allgemeinstrafe zu erheben. Nicht nur PS-Machos, die sich ins Delirium saufen, sondern auch Ladendiebe, Zechpreller, Tierquäler sollen mit dem bestraft werden, was die mobile Gesellschaft am empfindlichsten trifft: nämlich mit dem Verlust der individuellen Mobilität. Also Auge um Bein, Bein um Auge.

Abgesehen davon, daß die Vorstellung von zukünftig autofreien Straßen eine durchaus faszinierende ist – schließlich verletzt jeder zweite Deutsche mindestens einmal pro Jahr law and order –, sind solche Überlegungen Ausgeburt einer Moderne hoch zehn. Die Rechtspolitiker gehen bei ihren Überlegungen davon aus, daß jeder Mensch in der Gesellschaft einen Führerschein hat und sein Besitz nicht nur Erlaubnis zur Lenkung eines Kraftfahrzeugs, sondern auch Ausdruck seiner individuellen Freiheit ist. Dies ist zwar so, war aber bislang noch kein Bestandteil der Gerechtigkeitssuche. Sollte künftig bei Bestrafung von Bagatelldelikten die Fahrerlaubnis entzogen werden, bedeutet dies, daß jeder sein Gefängnis wie ein Schneckenhaus mit sich herumträgt. Die Allzweckwaffe Führerscheinentzug ist insofern eine niedrigschwellige Variante der elektronischen Fußfessel, nur ein wenig anonymer. Anita Kugler