"Ich möchte eine zieloffene Euro-Debatte"

■ Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) besteht darauf, daß Bundestag und Bundesrat noch einmal über die Einführung des Euro mitentscheiden müssen. Nur eine offene Diskussion mit der Bevö

taz: Herr Ministerpräsident, Sie plädieren für eine Verschiebung der Euro-Einführung und eine fünfjährige Probephase mit festen Wechselkursen. Und Sie beharren auf einem Mitspracherecht von Bundestag und Bundesrat. Ihre Kieler Kollegin Heide Simonis bestreitet aber, daß die Parlamente dabei noch etwas zu sagen haben.

Kurt Biedenkopf: Offenbar haben viele die Entschließungen von Bundestag und Bundesrat vergessen, nach denen beide Anfang nächsten Jahres eigenständig mitentscheiden müssen. Das hat die Bundesregierung 1993 zugesagt und den Vertragspartnern mitgeteilt.

Wieso hat man das vergessen?

Ich habe schon im Juni den Bundeskanzler und andere darauf aufmerksam gemacht, daß man das berücksichtigen muß. Das ist auch zugesagt worden. Nur die Konsequenzen daraus sind bisher nicht durchdacht worden.

Heißt das, die Maastricht-Verträge zu ändern?

Nicht, wenn man sich im Bundestag oder Bundesrat entscheidet zu sagen: Deutschland ist noch nicht reif. Man könnte ja – ein hypothetischer Fall – beschließen: Deutschland hat zwar eine Punktlandung gemacht, aber eine nachhaltige Konvergenz können wir nicht feststellen, also darf die Bundesregierung der Euro-Teilnahme nicht zustimmen. Und wenn das so wäre – wohlgemerkt, ich schlage das nicht vor –, dann ist es unwahrscheinlich, daß im Ministerrat die notwendigen zwei Drittel für die Euro-Einführung zustande kommen.

Dann müßten sich aber alle auf ein alternatives Verfahren einigen.

Mitnichten. Man kann sagen: Wir wollen die dritte Stufe mit festen Wechselkursen einleiten, aber angesichts der Risiken später noch mal entscheiden. Das könnten die Regierungschefs auf ihrem Gipfel im Dezember verabreden und es mit der Ratifikation von Amsterdam verbinden.

Hätte die Aussetzung nicht verheerende Folgen für den gesamten Einigungsprozeß der Union?

Wieso denn? Da bin ich mit Bundesbankpräsident Tietmeyer einig: Eine Verschiebung ist kein Beinbruch. Wenn man eine bestimmte Politik macht und dann die Kontrolle über den Prozeß verliert, dann ist das eine sehr schlechte Politik.

Was genau befürchten Sie?

Erstens, daß die Europäische Zentralbank nicht weiß, an welcher der nationalen Wirtschaftspolitiken sie sich dann orientieren soll.

Sie trauen der Europäischen Zentralbank nicht zu...

...ich trau' den Leuten in der Zentralbank sehr viel zu. Aber worauf stützt sich denn eine Zentralbank? Auf den Konsens mit dem Staatsvolk. Das hat sich bei der Bundesbank mehrfach bewährt, zum letzten Mal bei dem Streit um die Goldreserven. Da war es die Empörung quer durch die Medien und die Bevölkerung, die die Bundesregierung zum Zurückrudern gezwungen hat. Aber diese Art von Staatsvolk gibt's für Europa nicht.

Die Italiener haben nicht das Stabilitätsbewußtsein der Deutschen?

Wenn die Länder vor unterschiedlichen Problemen stehen, dann werden sie unterschiedliche Interessen gegenüber der Europäischen Zentralbank haben. Ich sitze nicht hier, um Rezepte zu verkünden. Ich möchte etwas machen, was offenbar unserer demokratischen Gesellschaft außerordentlich schwerfällt, nämlich eine zieloffene Debatte führen.

Ihr zweites Bedenken?

Gibt es eine Fluchttür, wenn der Euro nicht funktioniert? Oder muß ich das ganze Gebäude einreißen? Ich bezweifle, daß wir das Recht haben, die ganze europäische Integration auf das Experiment Euro zu verwetten.

Die Umfragen zeigen heute eine Mehrheit gegen den Euro. Wird nicht die Skepsis noch zunehmen, wenn nachträglich eine Probephase eingeführt wird?

Viele meinen anscheinend, daß das Argument, der Prozeß sei unumkehrbar, vertrauensbildend wirkt. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man die Menschen ernsthaft an der Diskussion schwieriger Fragen beteiligt, ihnen die Vor- und Nachteile schildert, dann bildet das Vertrauen. Im Moment sind wir dabei, die Sorgen der Menschen mit Formeln zu beantworten: „Der Euro kommt pünktlich und stabil.“ Die Leute merken, daß das Stereotypen sind. Und in Werbebroschüren der Bundesregierung heißt es, der Euro würde die Probleme des Arbeitsmarktes lösen...

...Sie meinen, wieder einmal werden blühende Landschaften versprochen...

...und das stimmt nicht. Uns kann dasselbe passieren wie den Nordost-Staaten der USA in den siebziger Jahren: daß Industrien abwandern in andere Regionen mit sehr viel niedrigeren Löhnen und ohne Gewerkschaften. Innerhalb eines Währungsgebietes ist das sehr viel einfacher.

Meine Erfahrung in Sachsen zeigt, daß man gemeinsam mit den Betroffenen auch schwierige Entscheidungen durchsetzen kann, die im Westen völlig undenkbar gewesen wären – wie den Abbau der Beschäftigung in der Braunkohle von über 140.000 auf 38.000.

Zimmern Sie für die Euro-Debatte an einer Koalition?

Es bildet sich ja längst eine. Die Zeit hat vor einer Woche vier Ministerpräsidenten als Zerreder des Euro identifiziert, zwei von der SPD und zwei von der Union.

Gerade auch in Ihrer Partei wird das ja nicht selten als das übliche Störmanöver aus Sachsen abgetan.

Das stört mich nicht. Ich habe meinen Eid auf die Verfassung und nicht auf die Statuten der CDU geleistet.

Helmut Kohl hat die Einführung des Euro mit der Alternative zwischen Krieg und Frieden verglichen. Könnte er im Falle einer Verschiebung Kanzlerkandidat bleiben?

Ich werde auch Ihnen nicht den Gefallen tun, diese Diskussion mit einer Personaldebatte zu verbinden.

Auch in der Rentendiskussion kritisieren Sie, die Koalition agiere zu kurzatmig.

Ich hoffe, daß endlich genug Leute in den Parteien sagen: Wir müssen mal über uns selbst nachdenken und fragen, ob wir nicht den Kontakt zur Wirklichkeit und vor allem zur Bevölkerung verlieren. Was der Bundespräsident und der Altbundespräsident von Weizsäcker sagen, wehren die Parteien im Grunde ab. Mit zum Teil ja recht simplen Argumenten. Und das stört die Menschen.

Ich glaube aber, daß sich das ändern wird. Der öffentliche Druck wird immer größer. So etwas reift ja heran. Genauso wie zuvor die Erstarrung, Verkrustung oder, wie Helmut Kohl es genannt hat, Verbonzung – er hat ja auch mehrfach auf Parteitagen davon gesprochen, daß seine eigene Partei „verbonzt“ sei.

Sie haben zusammen mit Edmund Stoiber die bayerisch-sächsische „Zukunftskommission“ gegründet, die mit Wissenschaftlern und Praktikern arbeitet, zu ihr gehört auch der Soziologe Ulrich Beck. Was kann die Kommission bewirken?

Die Kommission hat eine Darstellung der Entwicklung des Arbeitsmarktes geliefert. Im November wird sie ihren letzten Bericht vorlegen. Dann werden daraus politische Initiativen entstehen. Auf den bisherigen Ergebnissen der Kommission hat übrigens Gerhard Schröder in seinen jüngsten Thesen aufgebaut.

Wie wohl fühlen Sie sich als der ewige Quertreiber in Ihrer eigenen Partei?

Ohne Quertreiben bringt auch das Querdenken nichts. Ich habe mit der CDU eine ganze Menge Rückschläge gehabt, aber auch eine ganze Menge erreicht, nicht zuletzt mit zwei gewonnenen Wahlen in Sachsen. Natürlich, die Establishments von Parteien werden immer versuchen, Quertreiber zu isolieren. Der ist ja immer dagegen, heißt es, oder: Der soll mal seinen Kram in Dresden machen. Nur funktioniert das nicht mehr. Sie sehen an den Umfragen, daß die Bevölkerung meine Arbeit anders bewertet als manche in meiner Partei. Trotzdem halte ich meine Partei für die mit Abstand beste.

Fühlen Sie sich in der CDU als Einzelkämpfer?

Natürlich nicht. Auch wenn ich in meinem Büro ein schönes Poster habe, wo Leute große Steinkugeln einen Berg hinaufrollen...

...also doch der Sisyphos...

...nein, hinter dem Berg fliegt dann eine weg, wie ein Ballon.

Können Sie sich am Ende Ihrer Laufbahn noch einmal ein anderes politisches Amt vorstellen?

Nein. Ich finde meine Aufgabe in Dresden sehr schön und würde sie gern noch eine Weile weitermachen.

Interview: Ulrike Fokken,

Michael Rediske