Die trockene Haut der Erde

Durch Wüstenbildung gehen jährlich Millionen Hektar Anbaufläche verloren  ■ Von Wiebke Rögener

Regenfälle lassen die Wüste wachsen. So jedenfalls interpretiert ein Forscherteam der University of New Mexico und der California State University die Ergebnisse einer Langzeitbeobachtung von Trockenland in Arizona: Vor zwanzig Jahren zäunten die Wissenschaftler ein Gelände von rund 20 Hektar ein, um die langfristige Entwicklung dieses Biotops zu verfolgen und dabei den Einfluß von Überweidung auszuschließen. Wo damals Weideland mit spärlich verteilten Sträuchern die Landschaft prägte, steht heute dichtes, für Trockengebiete typisches Buschwerk. In der umliegenden, weiterhin für Vieh zugänglichen Landschaft kam es zu den gleichen Veränderungen. Ehemals häufige Insekten-, Vogel- und Nagetierarten des Graslandes sind in der Region ausgestorben. Im Beobachtungszeitraum fiel jedoch nicht etwa weniger Regen als in den Jahrzehnten zuvor, sondern die Niederschläge nahmen im Winter sogar zu. Dies begünstigte die auch in der kalten Jahreszeit wachsenden Sträucher gegenüber den nur im Sommer voll aktiven Gräsern, vermuten die Wissenschaftler. Sie machen veränderte Meeresströmungen und Klimaphänomene für den Anstieg der winterlichen Regenfälle und damit indirekt für die Ausweitung der Wüsten im Südwesten der USA mitverantwortlich. Ob dieser Klimawandel bereits als Folge der globalen Erwärmung gelten muß, ist strittig.

Die Böden sind eine „verletzbare, dünne Haut der Erde, für die weltweit schwerwiegende Krankheiten zu diagnostizieren sind“, warnte der „Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) der Bundesregierung in seinem Jahresgutachten 1995. Eine Haut, die in weiten Bereichen immer mehr austrocknet: Von den 1.500 Millionen Hektar weltweiter Anbaufläche gehen jährlich 10 Millionen verloren, ein Großteil davon durch Wüstenbildung. Die UN schätzen, daß mehr als 70 Prozent der bewirtschafteten Böden in Trockengebieten bereits degradiert sind: Zuviel Vieh nagt den spärlichen Bewuchs bis zu den Wurzeln ab. Bäume und Buschwerk werden als Brennmaterial verheizt. Intensiver Ackerbau laugt die Böden aus. Schließlich trägt der Wind die letzten Krumen davon.

Wo die Anlage von Bewässerungssystemen einmal die Grundlagen für antike Hochkulturen schuf, verschärfen Wasserbaumaßnahmen heute oft eher die Probleme. So nennt der WBGU in seinem jetzt vorgelegten Gutachten 1997 die „Grüne Revolution“, also die großräumige, von oben geplante und schnelle Modernisierung der Landwirtschaft mit importierter, nicht angepaßter Agrar- und Bewässerungstechnologie als eines der wichtigsten zur Süßwasserkrise führenden „Krankheitsbilder“ der Erde.

Die Ende vergangenen Jahres in Kraft getretene UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung sieht dagegen einen „Bottom-up“-Ansatz vor: Die betroffenen Länder sollen zunächst in nationalen Aktionsplänen definieren: Welche Maßnahmen sind sinnvoll? Welche Hilfe wird benötigt? Erstmals wurde dabei die Mitwirkung der Bevölkerung vor Ort völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben. Mit der Umsetzung freilich hapert es: Wenn sich die Vertreter von mehr als einhundert Unterzeichnerstaaten Ende des Monats zur ersten Konferenz in Rom treffen, wird es voraussichtlich nur am Rande darum gehen, den weltweiten Vormarsch der Wüsten zu stoppen. Statt dessen stehen so dringende Fragen auf der Tagesordnung wie die nach der Größe des Sekretariats sowie nach dem Sitz desselben. Zu den Bewerbern gehört auch Bonn.

Während über dergleichen Probleme gestritten wird, wachsen die Wüsten rasch: Eine Viertelmilliarde Menschen leidet bereits unter diesem Prozeß, viermal so viele sind, laut UN, bedroht. Bei wachsender Erdbevölkerung gibt es immer weniger Fläche für den Anbau von Grundnahrungsmitteln. Der WBGU errechnete, daß das pro Kopf verfügbare Ackerland bis zum Jahre 2010 um 21 Prozent sinken wird. Dabei ist die Ausbreitung der Wüsten nicht nur ein Problem Afrikas oder anderer Drittweltstaaten: So sind bereits dreiviertel der nordamerikanischen Trockenregionen verwüstet.

Die Teilnehmer der Jahrestagung der Ecological Society of America, die im vergangenen Monat in Albuquerque, New Mexico, stattfand, diskutierten, ob nicht zukünftig ganz neue Formen des Ackerbaus zu entwickeln sind: Vorfahren der heute genutzten Getreidearten, die 85 Prozent der Nahrungsmittelproduktion ausmachen, waren durchweg einjährige Wildgräser. Nach der Ernte bleibt die Erde nackt zurück, den erodierenden Einflüssen von Wind und Regen schutzlos ausgeliefert. Ausdauernde Gräser dagegen bilden Pflanzengesellschaften, die die Erde festhalten. Ließen sich aus solchen Wildformen mehrjährige Getreidearten züchten, könnte dies nach Meinung der Ökologen erheblich zum Schutz der Böden beitragen. Vorgeschlagen wurde, diese neuen Nutzpflanzen nicht in den heute üblichen Monokulturen anzubauen, sondern in Mischpflanzungen. So ließe sich die Stabilität des Systems erhöhen und auch der Einsatz von Pestiziden reduzieren. Wie das Wissenschaftsmagazin Nature berichtet, scheint eine Kombination aus zwei Gräsern, einer Hülsenfrucht, Sonnenblumen und einigen weiteren Pflanzen, die das Aufkommen unerwünschter Wildkräuter unterdrücken, recht erfolgversprechend. Dem Land Institute of Salina, Kansas, an dem dieser Ansatz entwickelt wurde, fehlt nur eine Kleinigkeit: etwa 130 Millionen Dollar. Soviel würde es über die nächsten 25 Jahre kosten, den Versuch einer radikalen Umwälzung des Getreideanbaus großflächig in der Praxis zu erproben.