Der oberste Schupo als Deichgraf

Expolizeipräsident Klaus Hübner, 1969 bis 1987 im Dienst, hat seine Erinnerungen aufgeschrieben. Die Zeit der Studentenbewegung, Hausbesetzer und des Terrorismus wird zur Erfolgsstory verklärt  ■ Von Bodo Morshäuser

Klaus Hübner mußte ein Buch schreiben. Plötzlich verspürte der Mann einen Strom wichtiger Mitteilungen in sich, und bevor es an anderer Stelle einen Dammbruch geben würde, hat er sich entschlossen, den Fluten, die da in ihm wallten, nachzugeben und sie zu kanalisieren in ein Buch. So ist Klaus Hübner, auch nachdem er aus dem Amt geschieden ist, immer noch der Herr der Fluten, der Deichgraf des Vollzugs. Ich bin geneigt, mich mit einem feuchten Händedruck bei ihm zu bedanken. So einen hübschen Einblick in den Stauraum eines Verantwortungsträgers habe ich lange nicht zu lesen bekommen. Dem geneigten Leser rate ich, die Taucherbrille aufzusetzen.

Auf der ersten Seite seiner „Erinnerungen“ beginnt der Schwimmunterricht bereits. Hübner erklärt uns sein Stadtbild: „Verkehrsströme sind nun einmal der Blutkreislauf eines Gemeinwesens“, also sind Demonstrationen „Einschnitte in den gewohnten Verkehrsfluß“, die „die Zirkulation“ nachdrücklich störten. Es sind „das blutige Rot“ und „das rhythmische Gebrüll der Sprechgesänge“, woraufhin der „Kundenstrom ... ausdünnt“ und die Autofahrer sich „allergisch“ zu einem „vielstimmigen und mißklingenden Chor ... vereinigen“.

Nur gut, daß wir unseren Deichgraf hatten, der alle Ströme unter Kontrolle behielt und „die Kunst und das Glück der polizeilichen Aufklärung“ beherrschte. Von „marodierenden aggressionsbereiten Haufen“, die sich in „Puzzles aus Soziochinesisch und Fäkalsprache“ ausdrückten, ließ sich unser Herr der Ströme ebensowenig vom Kurs abbringen wie vom „Vorgeschmack des Lärms der Hölle“, der während einer Demonstration unter den Brücken des Bahnhof Zoo in sein Ohr schwemmte. Wo kam der Lärm nochmal her? „Aus diesem ungemütlichen Loch heraus.“ Wo die blutrote Fahne ist, da ist also auch ein ungemütliches Loch. Schöne Grüße von Theweleit.

Als Richard Nixon in Berlin war und aus seinem Wagen ausstieg, wurde er „von der Menge verschluckt“, denn er nahm „sein Bad in der Menge“, woraufhin „ein Damm gegen die Menschenflut“, die „heranbrandete“, gebildet werden mußte.

Hübners Job muß ein riesiges Naturereignis gewesen sein, zum Beispiel, als seine Diskutierpolizisten sich einmal in die Uni wagten und die „Fakultät meine Männer verschluckt hatte“. Natürlich war da drin eine „kochende Atmosphäre“, die Beamten wurden „bis aufs Blut“ gepiesackt, die Stimmung wurde „zum Siedepunkt“ hochgekocht; jegliche „Hoffnung auf Gewalt“ platzte jedoch „wie eine Seifenblase“. Der Terrorismus war nicht nur eine „Pest ... mit der sich ausgeflippte Bürgertöchter und -söhne infiziert hatten“, sondern er war „bis zur Austrocknung“ ein „Terrorsumpf“. Und dann? Daraufhin überspülte uns „eine Flut von Hinweisen aus der Bevölkerung“.

Wasser also überall und die Gefahr eines Dammbruchs dauerhaft. Achtzehn Jahre lang hat der Deichgraf Klaus Hübner an allen Strömen der Stadt Schmiere gestanden, um sie umzuleiten, abzuschöpfen oder auszutrocknen, immer versehen mit der Sicherheit, wo das dreckige und wo das saubere Wasser floß und was es mit der Stadt machte, die Hübner als einen Organismus sieht vergleichbar dem Organismus des Menschenkörpers – also auch hier vor allem Ströme, Ströme, Ströme und Ausscheidungen und also Säuberungen.

Bei allen Deichgrafenassoziationen: Klaus Hübner war achtzehn Jahre lang Polizeipräsident, er erzählt von seiner Zeit, von achtzehn Jahren Westberliner Politik, also auch von unserer, der Leser Zeit. Seine Amtszeit hat er, folgt man dem Buch, so charakterisiert: ein schwerer Anfang, ein langer Erfolg, ein schweres Ende. Wenige Tage nach Amtsantritt mußte er bereits für die Sicherheit von Richard Nixon in West-Berlin sorgen, und die letzten Jahre seiner Führung waren auch geprägt von mehreren Anzeigen wegen Strafvereitelung im Amt – weil Hübner nicht jedes besetzte Haus sofort räumen ließ. Keine Frage, daß der Nixon-Besuch von Hübner ebenso unter „Erfolg“ abgebucht wird wie die schließliche Niederschlagung der Anzeigen zum Ende seiner Amtszeit. Also ein rundum positives Bild. Um diesen Eindruck nicht peinlich werden zu lassen, konstatiert Hübner an wenigen Stellen auch „Fehler“ – was das Gesamtbild nicht so memoirenselbstherrlich erscheinen läßt.

Es ist auffällig, wie unterschiedlich Hübner die Studentenbewegung und die Hausbesetzerbewegung beschreibt. Die Studenten sind für ihn, man merkt es an der Wortwahl, Verrückte oder Verblendete gewesen, während er über Hausbesetzer nichts Schlechtes zu sagen weiß. Er beschreibt sie als buntes Häuflein, das auf einen gesellschaftlichen Mißstand, nämlich den Wohnungsleerstand, erfolgreich hingewiesen hat und zudem auch die zukünftige Stadtgestaltungspolitik, das sanfte Sanieren, vorweg gefordert hat.

Über die Studenten hinweg mußte Hübner sich als knallharter Präsident beweisen, die Schnittstelle liegt da zwischen ihm und dem politischen Gegner. In der Auseinandersetzung mit Hausbesetzern, wo die Schnittstelle offenbar durch die Person Hübners und seine Familie hindurchführt, inszenierte er sich nun als Beschützer seiner Beamten, die nicht zur gewaltsamen Endlösung politisch ungelöster Fragen herangezogen werden dürften.

Das hätte ein ganz unterhaltsames Buch werden können, denn Hübner läßt 18 Jahre Geschichte ablaufen, die Schießerei in der Bleibtreustraße kommt da ebenso vor wie der Aufbau der Sondereinsatzkommandos und die Lorenz- Entführung; aber zu lesen ist dann doch nur das Psychogramm eines Mannes, der im Grunde nicht weiß, was er schreibt, und folglich kann man als Leser durch in hindurchlesen.

Hübner und die Terroristen: Er nennt sie „Voll- und Feierabend- Terroristen unserer Provenienz“, sie werden als „schlaue Leute“, als „hochintelligenter und skrupelloser Tätertyp“ bezeichnet, und das was sie anstellen, wird wie eh und je naturverbunden einfach „die Pest des Terrorismus“ genannt. Terroristen verschaffen den Herrschenden eines der nachhaltigsten Bildungserlebnisse, das bestätigt sich auch in diesem Buch.

Das Kapitel über die Entführung des ehemaligen Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz bestätigt, wie Extreme sich anziehen bzw. sich schon wieder ähneln. Ist das Buch normalerweise im Hier-rede-ich-Stil abgefaßt, so hat sich Hübner für das Lorenz-Kapitel eine geradezu literarische Raffinesse zu eigen gemacht und spricht mit zwei Stimmen: zum einen mit seiner, zum anderen mit der des damals beteiligten Terroristen Knut Folkerts, der einer Zeitung ein Interview gab, in dem er sagte, wie es einst wirklich war. In gekonnter Autorenmanier läßt er erst den Feind Folkerts zu Wort kommen, um dann richtigzustellen, was der alles falsch in Erinnerung hatte. Eine ähnlich sorgfältige Verquickung der Ansicht eines politischen Gegners mit der eigenen gibt es in diesem Buch sonst an keiner Stelle und wirft ein Licht darauf, wie die Terroristen zum Lieblingsfeind wurden, vielleicht auch deshalb, weil der Feind intelligent war und trotzdem besiegt wurde: solche Heldengeschichten erzählt man sich und seinen Zeitgenossen und Kindern doch gern!

Der Charme dieses Buches besteht darin, daß man darin Sätze wie diesen lesen kann: „In rasender Fahrt setzte sich der Wagen in Bewegung.“

Und weil Gegensätze sich anziehen, daß sie manchmal einander ähneln, erzählt Hübner die Erfolgsgeschichte der von ihm gegründeten SEKs im DDR-Jargon: „Diese Anforderung des SEK blieb bis heute das unerschütterte Grundmuster für die Zusammenarbeit mit der Berliner Polizei. Die Gunst der dichten Stadtlandschaft (!!!) läßt es zu, daß vorhersehbare Risiken von den Fachleuten gemeistert werden, die für jeden einzelnen ihrer Einsätze von vorherein jede denkbare Gefahr einkalkulieren und sich bei immer größer werdender Erfahrung auf die stets unterschiedlichen Umstände mit Sorgfalt einstellen.“

Klaus Hübner: „Einsatz“. Berlin 1997, Jargon-Verlag, 44 DM