■ In Hamburg spricht viel für Rot-Grün. Doch die SPD darf nicht nur auf die klassischen rot-grünen Themen setzen
: Unfall auf schwankendem Boot

Die Hamburger SPD hätte diese Wahl gewinnen müssen. Der günstige Bundestrend hätte einen Zuwachs von mehr als drei Prozent erwarten lassen. Dazu ein hoher Amtsbonus des sozialdemokratischen Spitzenkandidaten, mit wachsendem Ansehen auf bundespolitischer Ebene.

Statt dessen hat sie auf das Katastrophenergebnis von 1993 (-7,5 Prozent) noch eins draufgesetzt. Der rote Sheriff Voscherau wurde nicht als strahlender Held gefeiert, sondern geteert und gefedert aus dem Wahllokal getragen. Das Relikt aus besseren Tagen, die sozialdemokratische Stadtstaaten-Hegemonie, nun ist sie auch in Hamburg gebrochen. Mit ihren rund 36 Prozent ist die Hamburger SPD auf Bundesniveau angekommen. Und selbst dies ist kein gefestigter Sockel. Die Berliner SPD setzte die Talfahrt bis 23,6 Prozent fort.

Die Mannheimer Wahlforscher um Dieter Roth haben empirisch belegt, daß Voscherau einen schweren Fehler beging, als er die Innere Sicherheit zum einzigen Thema des Wahlkampfs machte. Damit stützte er die CDU und die Rechtsaußenparteien. Sozialdemokraten durften dem Thema natürlich nicht ausweichen, aber sie konnten mit ihm nicht gewinnen.

Voscherau ist mit seinem Beitrag, die Integrationskrise der SPD zu beheben, gescheitert. Keine Partei in Deutschland ist so heterogen wie die Sozialdemokratie, und nirgendwo hat sie so sehr damit zu kämpfen wie in den sozial polarisierten Metropolen Frankfurt, Berlin oder eben Hamburg. Hier müßte die SPD eigentlich jeden ihrer Wähler persönlich zur Wahlurne begleiten, denn verlassen kann sie sich auf niemanden mehr. Selbst die treuesten Stammwähler bleiben zu Hause, wenn sie nicht gezielt angesprochen werden.

In den Hochhaussiedlungen am Stadtrand und den citynahen Problemstadtteilen wählten alte Sozialdemokraten aus Protest schon mal rechts. Nur wenige Kilometer weiter, in den Uni- und Szene- stadtteilen drohen die Wähler zu den Grünen überzulaufen. Und bei alledem muß die Partei auch noch mit der Union um die aufstiegsorientierten Mittelschichten konkurrieren.

Wie hält man eine Wählerschaft zusammen, in der ein rot-grünes Segment stark, aber auch ein rot- braunes Potential der Modernisierungsverlierer und politisch Entfremdeten relevant ist? Die SPD ist ein schwankendes Boot. Lehnt sich der Steuermann zu weit links (wie Lafontaine 1990) oder zu weit rechts heraus (wie jetzt Voscherau), kommt es zu schweren Unfällen.

An den rechten Protestwählern gingen Voscheraus verbalradikaler Sicherheitswahlkampf vorbei. Und auch auf dem linken Flügel hat Voscherau versagt: Die Grünen können sich bei ihrem langjährigen Gegner bedanken. Ein Viertel der GAL-Wählerschaft von 1993 hatte noch eine Parteiidentifikation mit der SPD, von der sie kamen. Das sind Wähler in einer Größenordnung von etwas mehr als drei Prozent. Der rigide Abgrenzungskurs Voscheraus, das Fehlen jeglichen personellen und inhaltlichen Angebots für rot- grüne Grenzwähler hat diese enger an die Grünen gebunden. Voscherau war so sehr auf sein Rechtsproblem fixiert, daß er dieses Problem noch nicht einmal wahrgenommen hat.

Hamburg zeigt auch, daß einer alleine die auseinanderdriftende SPD nicht mehr repräsentieren kann. In Hamburg ist die Spannweite der SPD-Wählerschaft von rechts nach links besonders groß – das personelle Angebot war mit Voscherau besonders eng.

Schierer Wahlopportunismus zahlt sich für die SPD nicht aus. Das kurzfristige Umschalten auf das Thema Innere Sicherheit, die Differenz dabei zur eigenen Partei, der Gegensatz von Reden und Handeln – solcher Wahlkampfaktionismus schafft eine Glaubwürdigkeitslücke. Der Trick der Regierenden, in Wahlen zugleich Regierung und Opposition zu spielen, stößt auf Grenzen. So erwies sich Voscheraus Strategie als totaler Flop. Klappt jetzt, wo das Haupthindernis Voscherau beseitigt ist, im vierten Anlauf eine rot-grüne Zusammenarbeit?

Für eine rot-grüne Koalition spricht sozusagen die Standardargumentation. Die Parteibasis in Hamburg und auch die Mehrheit der SPD-Wähler haben die Grünenphobie ihres Ersten Bürgermeisters nie verstanden. Vor allem aber gibt es ein Interesse von Bonner SPD und Grünen an einem Hamburger Aufbruchsignal für die Bundestagswahl 1998.

Die Hamburger SPD wird für sich einige kritische Fragen beantworten müssen, ehe sie sich auf das Nächstliegende einläßt: Rot-Grün. Wählerwanderungen nach rechts, wie auch bei dieser Wahl, führen normalerweise nicht zu Linksbündnissen. Man geht den Wählern nach und versucht, durch politische Maßnahmen auf ihre Unzufriedenheit zu antworten. „Responsivität“ ist das politologische Codewort zum Verständnis moderner Demokratieprozesse. Dabei muß sicherlich auch über die Grenze des Integrierbaren entschieden werden.

Die Innere Sicherheit wird einen hohen Stellenwert behalten – SPD und Grüne müssen sich fragen, wie sie damit zurechtkommen wollen. Klassische Themen von Rot-Grün entfremden Modernisierungsverlierer zusätzlich – geringes Problem für die Grünen, großes Problem für die SPD. Die Hamburger Sozialdemokraten gingen als Verlierer in eine rot- grüne Koalition. So würden sie mit dem Trauma aller Genossen in Rot-grünen Koalitionen starten – bei diesem Bündnis gegenüber den Grünen zu verlieren.

Solche Bedenken gewinnen auch dadurch größeres Gewicht, daß beide Parteien sich in schlechter Verfassung befinden. Intern gespalten, ohne anerkannte Führung, beide nur schwach vorbereitet auf eine wirksame Bearbeitung der Fragen Innerer Sicherheit. Es könnte sein, daß hier ein neuer „Knackpunkt“ liegt, nachdem sich drei der vier Essentials von 1993 im wesentlichen erledigt haben (Hafenstraße, vierte Elbtunnelröhre, Hafenerweiterung). Der vierte Kernkonflikt (Elbvertiefung) ginge in den Problemhaushalt auch dieser Koalition ein.

Nach dieser Wahl wird auch eine rot-grüne Koalition nicht zuletzt an ihrem Leistungsprofil im Bereich Innerer Sicherheit gemessen werden. Ein Rot-Grünes Bündnis müßte, um die angeschlagene SPD zu stabilisieren, hier ganz neue Akzente setzen. Mit dem klassischen Repertoire ökologisch-sozialer Großstadtpolitik allein könnte in ein paar Jahren das definitive Aus der glorreichen Hamburger Sozialdemokratie mit dem Ende von Rot-Grün an der Elbe zusammenfallen. Joachim Raschke/Andreas Timm