CDU und Grüne buhlen um die SPD

■ Exbürgermeister Henning Voscherau tritt auch als SPD-Steuerkoordinator zurück. Bundeskanzler Kohl für Große Koalition in Hamburg. Aber auch die Grünen wollen mit den verbliebenen Genossen zusammenarbeiten

Bonn (taz) – Henning Voscherau hat nach der SPD-Schlappe bei der Bürgerschaftswahl seinen weitgehenden Rücktritt aus der Politik angekündigt. „Das war die letzte Veranstaltung, bei der ich hier aufgetreten bin“, sagte er gestern in Bonn. Auch seine Rolle als finanzpolitischer Verhandlungsführer der Sozialdemokraten im Bundesrat werde er aufgeben. Ob er bei den an diesem Donnerstag anstehenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat über die Steuerreform noch teilnehmen werde, sei noch nicht geklärt.

Der FDP-Landesvorsitzende Frank- Michael Wiegand, dessen Partei am Sonntag die Fünfprozenthürde verfehlte, kann Voscherau Gesellschaft leisten. Er kündigte ebenfalls seinen Rücktritt an. Völlig offen ist die Nachfolge des Hamburger Bürgermeisters. In Betracht kommen die Herren Ortwin Runde, Fritz Vahrenholt und Thomas Mirow. Gesucht werden soll aber auch außerhalb von Hamburgs Stadtgrenzen. Unterdessen reißen sich CDU und Bündnisgrüne um eine Koalition mit dem potentiellen SPD-Kandidaten. CDU- Spitzenkandidat Ole von Beust forderte die SPD auf, eine Große Koalition zu bilden. Kohl empfahl ebenfalls die Große Koalition. Auch die Spitzenkandidatin der GAL, Krista Sager, meldete mit Nachdruck ihr Interesse an.

Frei von der Leber weg bemühten sich die Parteien, das Hamburger Wahlergebnis nach ihrem Gusto für die Bonner Politik auszulegen. Am professionellsten machte das CDU-Generalsekretär Peter Hintze. Statt auf eine Frage des neben ihm sitzenden Interviewers einzugehen, richtete er den Blick direkt in die Kamera, so daß diese gezwungen war, auf ihn zuzugehen, und sagte triumphierend: „Die SPD hat die Quittung für ihre Blockadepolitik in Bonn erhalten.“ Sie sei jetzt gezwungen, im Vermittlungsausschuß in Bonn ihren Kurs zu korrigieren. Bundeskanzler Kohl („ein gutes Ergebnis für ganz Deutschland“) kündigte hoffnungsfroh an, daß die Koalition bis zur Vermittlungsrunde am Donnerstag eine gemeinsame Position im Steuerstreit festlegen werde.

SPD-Chef Oskar Lafontaine und Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering bemühten sich dagegen erwartungsgemäß, der Hamburg-Wahl eine bundespolitische Bedeutung abzusprechen. Unterstützt werden sie von einer Umfrage, der zufolge 68 Prozent der Hamburger nach rein landespolitischen Gründen gewählt haben. Lafontaine kündigte an, die SPD werde an ihrem politischen Kurs für die Bundestagswahl 1998 festhalten.

Die Unions-Strategen bemühten sich insbesondere, den SPD-Kanzlerkandidat- Kandidaten Gerhard Schröder mit ins Boot der Niederlage zu holen, nach dem Motto: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Auch er habe die Blockadepolitik der SPD mitverantwortet, sagte etwa CSU-Generalsekretär Bernd Protzner. Die Spitzenkandidatin der GAL, Krista Sager, zeigte Schröder ebenfalls den Zeigefinger und forderte im Hinblick auf den vom Thema Innere Sicherheit überlagerten Hamburger Wahlkampf: „Herr Schröder sollte sich das Fallbeispiel Hamburg gründlich anschauen.“ Ob er dazu bisher noch nicht gekommen ist? Jedenfalls sagte der Niedersachse, er habe nicht vor, seine politischen Positionen zu ändern. Für die Landtagswahl in Niedersachsen am 1. März stünden der Kampf um Arbeitsplätze und die Innere Sicherheit klar im Vordergrund.

Angesichts des guten Abschneidens der rechtsextremen DVU (4,9 Prozent) warnte auch die FDP davor, das Thema Kriminalitätsbekämpfung nicht als „überhöhtes Emotionsthema“ zu behandeln, um anderen „Wasser auf die Mühlen zu gießen“. Der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) wandte sich allerdings gegen eine Überbewertung des Abschneidens rechter Parteien. Er wies darauf hin, daß die beiden rechtsextremen Parteien DVU und „Republikaner“ in der Hansestadt insgesamt weniger Stimmen als 1993 bekommen haben. Die Prozentzahl sei von 7,6 auf 6,8 Prozent der Stimmen gefallen. Auch Bundeskanzler Kohl hob den Rückgang der rechtsradikalen Stimmen hervor. Der Rückgang um achttausend Stimmen sei eine Zahl, wie sie in keinem der westlichen Nachbarländer erreicht würde, sagte der CDU-Vorsitzende.

Der innenpolitische Sprecher der SPD, Rezzo Schlauch, sagte im taz-Interview: „Wahlkampf ist Wahlkampf, und da muß man sich jedem brisanten Thema stellen.“ Es komme darauf an, wie dies geschehe. Durch die Kritik am Wahlkampf werde „verkleistert, daß Bürgermeister Voscherau offenbar eine falsche Politik gemacht hat. Wenn soziale Desintegration so scharf sichtbar ist wie in Hamburg, dann muß das für die Regierung auch Konsequenzen haben.“ Markus Franz

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Debatte Seite 10