: Schwenkbagger zu Kunstwerken
In Korrespondenz zur Expo 2000 wurde in Sachsen-Anhalt eine Region zum Exponat erklärt. Wo einst die Industrie wütete, wird nun kulturell und ökologisch bewahrt und erneuert, und die Baggerstadt Ferropolis feierte Richtfest ■ Von Hartmut Krug
„Platz da, ich bin das Kulturprogramm“: Energisch schafft sich die junge Dame einen Durchgang in die riesige Grube. Ein Richtfest soll gefeiert werden, und dabei darf natürlichdie Kultur nicht fehlen. Sie singt Lieder von Aufbruch und Kohle, von Technik und Zukunft. Tiefe, poetische und fortschrittsgläubige Lieder. Und die vielen Zuschauer, die in dieser ehemaligen Braunkohletagebaugrube zusammengekommen sind, sie nicken mit ironisch-sentimentaler Erinnerung.
Rund um die Grube ragen sie in die Höhe, die eisernen Ungetüme: fünf Bagger und Absetzer, Tagebaugroßgeräte, die unter Anleitung der Menschen im Braunkohletagebau Golpa-Nord die Landschaft und den Ort Gremmin „überbaggert“ haben. Tagebau heißt Landschaftszerstörung: eine Kraterlandschaft mit Abraumhalden, eine kegelige Sandwüste, teilweise mit niedrigen Nadelhölzern begrünt, umgibt dieses industrielle Landschaftsdenkmal.
Golpa-Nord, ein verlassener Tagebau, eine verwundete Landschaft bei Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt. Am Rande der Dübener Heide und in der Mitte eines Kreises gelegen, auf dessen äußerem Ring Dessau und Wittenberg, Wolfen und Bitterfeld Platz finden. Ein Gebiet in Sachsen-Anhalt, das von der Expo 2000 zur Korrespondenzregion erklärt worden ist. Eine Region, die immer beides war: Industrielandschaft und landwirtschaftlich genutztes Gebiet.
Ein Gebiet, das in Dessau die Ideen des Bauhauses, in Wittenberg die Thesen des Aufklärers Luther, in Wörlitz die angewandte Aufklärung im historischen Gartenreich, in Wolfen die Erfindung des Farbfilms, bei Gräfenhainichen den extensiven Braunkohletagebau erlebte. Eine gestaltete Industrieregion, deren historischer Wandel der Landschaft überall anzusehen ist.
In dieser „gewachsenen“ und „gestalteten“ Landschaft, zu der auch die Chemieregion Bitterfeld gehört, versucht die Expo 2000 mit zahlreichen Projekten eine „ökologische und ökonomische Erneuerung einer Industriegesellschaft“. Was erst einmal ganz nüchtern bedeutet, historische industrielle Bauten vor dem Verfall zu retten. Das versucht die Expo nun mittelszweier Methoden: mit einer kulturell auffälligen Nutzung, einem einmaligen „Highlight“. Und mit einer langfristigen neuen Nutzung.
Oder, wie es im Kuratoriumsbericht heißt: „Die abstrakte Vision einer Gesellschaft der nachhaltigen Wirtschaftsweise muß an konkreten Projekten erfahrbar, anfaßbar werden. Ein solcher Denkansatz erfordert reale Projekte von hoher Symbolkraft und großer Ausdrucksfähigkeit.
Solche Symbolprojekte müssen in einem größeren Kulturraum als reale Vorhaben gestaltet und als Prozeß präsentiert werden. So mündet diese neue, ganzheitliche Ausstellungsidee konsequenterweise in ein Programm ,Region als Exponat‘.“
Die Region Sachsen-Anhalt als Exponat – das bedeutet unter anderem die Rekonstruktion und Wiederbelebung der historischen Renaissancehöfe von Lukas Cranach in Wittenberg; das bedeutet die ökologische, autofreie Erneuerung der Bauhaus-Siedlung Piesteritz bei Wittenberg; das bedeutet Wiederbelebung des ehemaligen Gasviertels in Dessau durch den Einzug des Umweltbundesamtes; das bedeutet, bei der Sanierung einer Plattenbauschule in Wittenberg den Wiener Künstler Friedensreich Hundertwasser zu beteiligen.
Es gibt viele Pläne und bis zum Jahr 2000 etwa 820 Millionen Mark, es gibt wirtschaftlich oder nur kulturell orientierte Vorhaben, es gibt städtebauliche oder Umweltprodukte (wie das Infozentrum Biosphärenreservat Mittlere Elbe). Es gibt eine Unmenge Pläne, aber fast noch mehr stille oder zerstörte Industrielandschaft. Da sollen historische Regionalbahnstrecken oder längst in der Kanalisation verschwundene Stadtbäche wieder geöffnet werden. Manches soll erst einmal der Vergessenheit, was den Verfall bedeutet, entrissen werden.
Im Sommer trat deshalb „Prometheus in Bitterfeld“ auf. Der Chemiepark Bitterfeld ist ein merkwürdiges Gelände: verfallene, riesige Backsteinbauten, aus deren Dächern Gras und Bäumchen sprießen, kilometerlang rostende Leitungen, verrottende Turbinen, planierte Sandwüste. Daneben kleine, eingezäunte, blitzende moderne Produktionsanlagen für Aluminium und PVC. Ein Bild von Niedergang und Aufschwung, von Verfall und Neubau, und mitten darin die Reste des ab 1905 in mehreren Etappen erbauten, von Stephan Simon entworfenen Braunkohlekraftwerkes. Ein mächtiger, zweistöckiger Backsteinbau, der über 70 Jahre den gesamten Energiebedarf der Bitterfelder Chemieindustrie befriedigte. 1975 wurde ein Erdgaswerk gebaut, und schon vor der Wende begannen Abriß und Verfall. Kesselhäuser, Bekohlungsanlagen, Bunker und Kühltürme gibt es schon nicht mehr. Nur noch ein sogenannter Luftturm steht vor der über 350 Meter langen Turbinenhalle des Kraftwerks Torbogenstraße.
Der dunkelgelbe, jetzt schmutziggraue Bau, der durch Torbögen mit einer Reihe von Verwaltungskopfbauten verbunden ist, er ist heute eine noch immer imposante Ruine von architektonischer Schönheit. Wenn man aus dem fast völlig zerstörten Erdgeschoß in die von ihren Turbinen leergeräumte obere Turbinenhalle steigt, ist man von den Dimensionen des schmalen Raumes mit seinen klar gegliederten, beidseitigen unendlichen Fensterfronten schier erschlagen. Eine leergeräumte Halle, noch immer mit Rudimenten vergangener Arbeits- und Wirtschaftsepochen.
Hier fand im Sommer eine Theateraufführung um Prometheus statt, um den Ort dem Vergessen und Verfall zu entreißen. Doch eine neue Nutzung des Geländes hat man noch nicht entdeckt. Denn Erfindergabe muß man (neben viel Geld) haben, um die Industrielandschaft als Exponat zu gestalten. In „Ferropolis“ hat man viele Einfälle gehabt und einen Grundeinfall: Ein ehemaliger Tagebau wird mit den imposanten Maschinen zu einem Museums- und Freizeitgebiet gestaltet. Bagger 651 Es 1120.2 heißt heute Mad Max: Noch immer ist er ein Eimerkettenschwenkbagger von 25,7 Meter Höhe und 42 Meter Länge, Gesamtgewicht: 1.250 Tonnen. Die Ferropolis-Erfinder haben hier fünf Großgeräte um die Tagebaugrube versammelt zu einer imposanten Stahlszenerie von nahezu urtümlicher Wirkung. Die Geräte sind begehbar und sollen als Museumsräume ausgestaltet werden. Einzelne der Stahlgiganten werden auch gelegentlich ihre Arme schwenken und ihre Eimerketten laufen lassen: ein „Erlebnismuseum“, zu dem ein großer Fuhrpark von alten Loks ebenso gehört wie ein eigener neuer Gleisanschluß, auf dem man fast bis zur als Amphitheater für 20.000 Besucher gedachten Grube mit einem hochmodernen neuen Schienenbus fahren kann.
Die Baggerkulisse für Reitturniere und Popkonzerte, Theateraufführungen und andere „Highlights“. Auf einer von einem 500 Hektar großen See umfluteten Halbinsel, denn die rundum gelegene geschundene, abgebaggerte und ausgekohlte Landschaft soll geflutet und zu einem Freizeitparadies werden. Die Werbebroschüre für Ferropolis schwärmt: „Ferropolis ist der Platz für Menschen, die ihr Herz und ihre Leidenschaft an eine Stadt mit ökonomischen Perspektiven und Chancen verschenken möchten und gleichzeitig an dem Prozeß zur Schaffung zukünftiger ökologischer Rahmenbedingungen mitarbeiten wollen.“
Erst einmal wird es ein Erlebnispark mit Ambitionen für die Erinnerung an eine gewachsene und in Ausbau wie Zerstörung von Menschen gestaltete Landschaft sein. Der vollständig beräumte Tagebau wird mit verzweigten Schienenanlagen, mit Krananlagen und Stahlbetonhallen die industrielle Nutzung (auch mit Foto- und Museumsräumen) dokumentieren.
Also keine Anklage gegen Industrialisierung, sondern Ausstellung von technischen Zeitzeugen in einer neugestalteten und -genutzten Landschaft. Die die Ambivalenz von technischer Entwicklung für die soziale und landschaftliche Struktur einer Region verdeutlichen können. 30 Jahre seit den ersten Plänen zum Tagebau Golpa-Nord, und eine Landschaft hat sich durch Menschenhand mit Baggerkraft vollauf verändert. Kein Landschaftsschutzgebiet, sondern eine zu Ende genutzte Landschaft.
Das Richtfest am vergangenen Wochenende bemühte in Theateraufführungen der Ensembles von Dessau und Magdeburg Prometheus und die Einwohner des überbaggerten, verschwundenen Dorfes (mit LPG Glück auf!, Typ A) Gremmin, auch die „Carmina Burana“ erklang matt. Nur das Dessauer Ballett trat nicht auf, es war zu kalt.
Wer von Berlin nach Ferropolis mit dem Auto fährt, sollte über Coswig fahren. Die eingegraute, architektonisch unansehnliche Zufallsansammlung von Häusern aus vielen Zeiten produzierte zu DDR-Zeiten Dünger, Portlandzement und Wellpappe sowie Bierkrüge. Melanchthon schwärmte vom Renaissanceschloß am Elbufer: „Es liegt fein hoch in gesunder Luft.“ Das nun kann man nicht mehr sagen, doch wenn man mit der alten Seilfähre und der Kraft des schnell fließenden Stromes hinübersetzt ans andere Ufer, fährt man direkt durch die Parklandschaft von Wörlitz. Ein Lehrpfad schon auf dem Weg zum Landschafts- und Industriedenkmal Ferropolis.
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