Ärzte beißen Psychologen weg

■ Niedergelassene Ärzte blockieren Gesetzesvorlage zur Gleichstellung von nichtärztlichen Psychotherapeuten

Berlin (taz) – Mit soviel Widerstandswillen hatte der Erste Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Winfried Schorre, nicht gerechnet. Vehement wehrten sich in den vergangenen Wochen Ärzte gegen ein geplantes Gesetz, das „psychologische Psychotherapeuten“ unter das Dach der Ärzteschaft integrieren will. Auf einer eilig am Wochenende zusammengerufenen Sondersitzung der KBV lehnten die Standesvertreter das von der Koalition geplante Psychotherapeutengesetz ab, das der Gesundheitsausschuß des Bundestages heute beraten wird.

Dabei hatte sich nicht nur Schorre der Zustimmung sicher gewähnt. Seit zwanzig Jahren arbeiten die Politiker schon an einem Gesetz, das ärztlich und nichtärztlich ausgebildete Psychotherapeuten gleichsetzen will. Künftig sollen beide Berufsgruppen zur psychologischen Behandlung auf Kosten der Krankenkassen zugelassen werden. Ferner soll das Gesetz die Qualifikation „psychologischer Psychotherapeuten“ regeln und deren Berufsbild schützen. Durch die Einbindung in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung soll den Patienten das Erstzugangsrecht zu Nichtärzten gesichert werden. Der Gesetzentwurf verlangt dem Patienten in einer frühen Phase seiner Krankheit einen Arztbesuch ab – der Arzt prüft, ob ein körperliches Leiden ausgeschlossen ist. Bisher gilt die Regelung, daß der niedergelassene Arzt den Kranken an einen nichtärztlich ausgebildeten Psychotherapeuten im sogenannten Delegationsverfahren überweist.

Nun also, nach der spektakulären Sitzung des Ärzteparlaments vom Wochenende, rückt die Gleichstellung beider Berufsgruppen unter einem Dach in weite Ferne. Die Ärzteschaft fürchtet um ihre Pfründen. Es erlaube den „psychotherapeutischen Psychologen einen überproportionalen Einfluß in den Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Vereinigung“, monierten die Ärzte in Düsseldorf. Zudem „erschütterten“ die Nichtärzte das „ärztliche Selbstverständnis“.

Der Kölner Diplom-Psychologe Karl-Otto Hentze wirft den Ärzten vor, stur auf die eigenen Interessen zu starren. Ähnlich sieht es die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundesgrünen, Monika Knoche. Aus „pekuniärem Interesse lassen sie das Psychotherapeutengesetz scheitern“. Knoche verweist auf die unzureichende psychotherapeutische Versorgung in der Bundesrepublik. Fast ein Drittel aller Patienten, die Allgemeinmediziner aufsuchten, litten an behandlungsbedürftigen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. Allerdings würden die Ärzte nur drei bis vier Prozent der Fälle als solche diagnostizieren.

Ob Gesundheitsminister Seehofer gegen den erklärten Willen der Ärzte das Psychotherapeutengesetz durchbringen wird, ist ungewiß. Dies sei „politisch wohl nicht angeraten“, so ein Sprecher.

Möglich, daß der Gesundheitsausschuß ob der verfahrenen Lage auf einen Vorschlag von Monika Knoche zurückgreifen wird. Die Grüne schlägt vor, den nichtärztlichen Psychotherapeuten eine eigene Kammervertretung ähnlich der KBV zuzusprechen. Dann nämlich könnten sie eigenständige Verhandlungen mit den Krankenkassen führen – ganz unabhängig von den Ärzten. Annette Rogalla