Eine auswärtige Affäre

Er ist erfolgreicher Musiker, Komponist, Arrangeur und Sänger: Aber am liebsten schreibt der 32jährige Neuberliner Rainer Bielfeldt Musicals für Kinder, weil „ich da meinen Hang zu Ohrwürmern voll ausleben kann“ – ein Porträt  ■ Von Axel Schock

Seit fast einem Jahr lebt der Sänger und Komponist Rainer Bielfeldt nun schon in Berlin. Hier kennt man ihn vor allem als Musiker in Begleitung von Gayle Tufts. Andernorts jedoch werden seine Kompositionen gefeiert. In Mainz etwa, wo gerade gestern die neuen mainzer kammerspiele mit der Uraufführung seines Musicals „Die Teufelin“ (nach Fay Weldon) eröffnet worden sind.

„Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens“, urteilt Rainer Bielfeldt rückblickend über den Umzug nach Berlin. „Ich habe ja immer viel über Berlin geschimpft und gelästert. Die Zeit nach dem Mauerfall fand ich Berlin sehr unangenehm und aggressiv. Ich brauchte etwas Zeit, um mit meinem hanseatischen Gemüt mit dem Berliner Cholerikertum umgehen zu können.“ Jetzt lacht er entweder über die ruppigen Ausfälle Berliner MitbürgerInnen oder pöbelt zurück. „Dann läuft's ja immer gleich erstaunlich gut.“

Letztlich ist Bielfeldt der Liebe wegen von Hamburg nach Berlin gekommen, aber nicht nur deswegen. Durch die Arbeit mit der Entertainerin Gayle Tufts und dem Chansonnier Tim Fischer hatte er schon zuvor hier in der Stadt viel Zeit mit Proben und Auftritten verbracht.

Wenn der 32jährige von seiner Arbeit erzählt, dann stets mit einem Understatement, das in keinem Verhältnis zu den vielfältigen Projekten und Erfolgen steht, die er in seiner bisherigen Berufslaufbahn als Musiker, Komponist, Sänger, musikalischer Leiter und Arrangeur erreicht hat.

Er ist der Pianist im Hintergrund, Begleiter von Altstar Nana Gualdi, Julia Kock, dem Kabarettisten Monty Arnoldt oder auch Tim Fischer, mit dem er das erste Bühnenprogramm „Zarah ohne Kleid“ erarbeitet hatte und damit die steile Karriere des Chansonniers mitbegründete. Er ist aber auch Komponist zahlreicher Bühnenmusiken, etwa für Inszenierungen in Hannover, Krefeld und Wilhelmshaven, und, wie erwähnt, Bühnenpartner von Gayle Tufts. Zur Zeit touren sie mit ihrem zweiten gemeinsamen Programm „A foreign affair“, und mit „Dictionary of Delight“ erschien kürzlich auch ihre zweite CD – verlegt von Bielfeldt-Records.

Denn klammheimlich hat sich Bielfeldt ein kleines, aber feines Label aufgebaut, das ebenfalls nach Berlin umgezogen ist: in einen alten, zum Atelierkomplex umgestalteten Werkhof in der Holsteinischen Straße in Steglitz. Weil größere Plattenfirma die beiden Soloalben „Nachtzug“ und „Herzen mit Koffern“ des damals noch unbekannten Newcomers nicht verlegen wollten, ist Bielfeldt kurzerhand das Risiko selbst eingegangen – mit durchschlagendem Erfolg. Obwohl nur geringe Vertriebsmöglichkeiten zur Verfügung standen, wurde seine Songs gerade auch von Berliner Sendern häufig gespielt. Die Alben verkauften sich jeweils rund 6.000mal; Größenordnungen, bei denen andere Labels bereits offene Ohren bekommen.

In der Tat waren Bielfeldts Alben Anfang der neunziger Jahre eine kleine Sensation: Selbstbewußte Lieder eines schwulen Sängers. Musikalisch zwischen Schlager, Pop und Chanson angesiedelt, ist Bielfeldt nicht so leicht einzuordnen. „Man hat es auch schon schwuler Schlager oder schwuler Udo Jürgens genannt“, erzählt er etwas frustriert. „Gut, wenn's denn eine Schublade sein muß. Ich weiß, daß ich meilenweit von einem G.G. Anderson oder anderen Leuten aus der Hitparade entfernt bin. Ich war zwar noch nie ein Fan von Udo Jürgens, aber es gibt schlimmere Vergleiche.“

Ganz gleich, ob er Songs für andere oder für sich komponiert, oder ob es sich um ein Musical wie das Kontaktanzeigenstück „Kennwort: Einsames Herz“ handelt, seine Fans erkennen oft nach wenigen Takten seine Handschrift. „Wie jeder seine Art hat zu reden, habe ich auch eine Art zu komponieren“, erklärt Bielfeldt, einst Absolvent eines Modellstudiengangs „Popularmusik“ an der Musikhochschule Hamburg. „Jeder sagt auch, in seiner Art zu reden verschiedene Dinge. So versuche ich in meiner Sprache unterschiedliche Dinge auszudrücken.“

Eingängige, aber keineswegs simple Melodien, die die Nähe zum Ohrwurm und zur gefühlvollen Phrase nicht scheuen, ohne zugleich allzu platt oder nur kitschig zu sein. Nicht von ungefähr sind zwei seiner Vorbilder Kurt Weill und der Musicalkomponist Stephen Sondhein. „Ich schreibe einfach gern einprägsame Melodien. Es schmeichelt mir, wenn Leute sagen: ,Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf.‘“

Seinen Hang zu richtigen Ohrwürmern jedoch tobt Bielfeldt in einem ganz bestimmten Genre aus: dem Kindermusical. Sein erstes, „Eine Woche voller Samstage“ nach Paul Maars Kinderbuch-Bestseller, wurde ein Dauererfolg. An die 30mal wurde es seit 1992 inszeniert, unter anderem auch am Theater des Westens; im November folgt als Koproduktion der Theater von Meiningen und Fürth das Nachfolgestück „Am Samstag kam der Sams zurück“. Doch es warten noch weitere Auftragsarbeiten: Für die mainzer kammerspiele komponierte er die Musik zu Otto Senns „Fritz der Kaktus“, und in Planung ist auch ein Musical nach einer Vorlage von Astrid Lindgren.

„Vielleicht machen mir Kindermusicals deshalb soviel Spaß“, sagt Bielfeldt, „weil ich da meinen Hang zu Ohrwürmern voll ausleben kann, ohne mir dabei Gedanken machen zu müssen, ob die Leute hinterher sagen: Oh, ist das platt, könnte das nicht ein bißchen komplizierter und schräger sein?“ Oft nämlich habe er bei Musik, die für Kinder geschrieben wurde, das Gefühl, daß die Kinder dabei nicht ernst genommen würden. „Entweder es ist eine supernaive Musik, ohne jeglichen Witz und Ironie, oder aber es sind die Techno- Schlümpfe. Wenn die Kids nach der Vorstellung aus dem Theater kommen und die Lieder noch im Kopf haben und weitersingen, fühle ich mich in meiner Arbeit bestätigt. Ich denke, daß es gar nicht wichtig ist, ob das Stück für Kinder oder Erwachsene ist: Letztlich geht es nur darum, wer Spaß dabei hat.“

Im nächsten Jahr will Bielfeldt dann auch gerne in Berlin wieder als Sänger auftreten, vielleicht sogar mit einem neuen Soloalbum, auf alle Fälle aber mit seinem Stück mit vertonten Gedichten von Mascha Kaléko. Schon zum Jahresende erscheinen die Lieder auf CD, im Frühjahr außerdem ein Live-Album mit Gayle Tufts – natürlich bei Bielfeldt-Records.