"Der rote Punkt rechts unten..."

Der rote Punkt rechts unten an der Friedrichstraße sind Sie“, erklärt mir die Tafel: Da stehe und bleibe ich. Denn der Weg auf den Bahnhof führt nicht zum Ziel, sondern mitten hinein in die Kolumne.

In der Kolumne gibt es keine Mißverständnisse, hier verweilen wir Deutschen gern. Zeitungen, die deutsche Einheit spielen wollen, haben ihre ostdeutschen Kolumnisten, die für sie von zu Hause erzählen wie einst Tania Blixen aus Afrika. Sie erzählen von alten Bäumen im Prenzlauer Berg, die immer noch grün sind, obwohl unter ihnen Unternehmer in Handys brüllen. Von Plattenbauten, die Menschen verschlingen, und von Reisenden, die auf dem Bahnhof Friedrichstraße gedankenverloren über die gewesene Grenze eilen. Die Abschiede an den Gleisen sind schmerzhaft, aber nicht mehr für immer. Es riecht nach Welt.

Wahrscheinlich hatte die berühmte eiserne Tür am Bahnhof Friedrichstraße auf der Ostseite keinen Griff. Wahrscheinlich war der Tränenpalast voller Tränen. Mit Sicherheit aber habe ich als Teenager gegenüber im Metropol-Theater siebenmal den „Bettelstudenten“ gesehen. Wenn ich nach der Vorstellung über den Bahnsteig lief, dachte ich nie daran, nur wenige Meter vom Westen entfernt zu sein. Ich sang leidenschaftlich: „Ach, ich hab' sie ja nur auf die Schulter geküßt!“ Ist das nicht herrlich ostig? Nadja Klinger

Nadja Klinger, 32 Jahre, Berlinerin, schreibt regelmäßig für die taz. Ihr jüngstes Buch: „Ich ziehe einen Kreis“, Alexander-Fest-Verlag