Schwingung der Gefühlsmembran

■ Chile jenseits der Panflöte: Oscar Andrade in der Passionskirche

Musik aus Chile genießt nicht gerade den besten Ruf. In jeder Fußgängerzone begegnen sie einem, jene unvermeidlichen Andenkapellen mit Poncho und Panflöte, die unaufhörlich „El Condor Pasa“ pfeifen – der Fluch der Anden-Folklore. Nun sind diese bunten Trachtenbands natürlich für die Musikszene Chiles so repräsentativ wie das Naabtal-Duo für die deutsche Musik der Gegenwart. Aber sie prägen eben das Bild.

Daß es in dem südamerikanischen Staat auch ein Musikleben jeseits der Panflöte gibt, dafür bürgt unter anderem Oscar Andrade. Der Dichter, Komponist und Sänger verortet sich in der sehr lebendigen Traditionslinie der südamerikanischen Singer/Songwriter, für die in Chile so legendäre Namen wie Violeta Parra und Victor Jara, Begründer des neuen chilenischen Lieds, des Nueva Cancion, stehen. Oscar Andrade erinnert mit melancholischer Lyrik und musikalischen Anklängen an Flamenco oder Brasil-Jazz, aber auch an brasilianische MPB-Kollegen wie Gilberto Gil, Caetano Veloso und Milton Nascimento. Zwischen diesen Vorbildern hat er einen eigenen, unverwechselbaren Stil gefunden. In seiner Heimat heimste er mehrere goldene Schallplatten ein und zählt zu den Stars, die in großen Theatern spielen und Stadien füllen. Obwohl kein ausgesucht politischer Sänger, wurde er Mitte der Achtziger mit längerem Auftrittsverbot belegt, was seinem Ansehen eher zuträglich gewesen sein dürfte.

In Deutschland ist er durch sein im Herbst letzten Jahres veröffentlichtes Album „Desde la Luz“ bekannt geworden. Die Platte ist das Ergebnis eines längeren Aufenthalts auf dem alten Kontinent: Der heute vierzigjährige Chilene schrieb sich 1990 an der Musikhochschule in Weimar zum Gesangsstudium ein. Ob es da Nachholbedarf gab, erscheint allerdings fraglich, wenn man hört, wie virtuos Andrade seine ausdrucksstarke und extrem wandelbare Stimme als zusätzliches Instrument nutzt: Mal schmachtet er wie ein zweiter Julio Iglesias, dann wieder simuliert er satte Trompetentöne oder versteigt sich in lautmalerische Eskapaden, die an Al Jarreau erinnern. Atmosphärisch dicht fügt sich der Gesang in die filigranen Kompositionen, die stilsicher Stimmungen an die Gefühlsmembran malen.

Andrade tritt in Triobesetzung an, mit seinem langjährigen Partner, dem chilenischen Percussionisten Raul Aliaga, sowie dem Gitarristen Falk Zenker aus Weimar. Daniel Bax

Heute, 20 Uhr, in der Passionskirche, Marheinekeplatz 1