Latino-Stars und Soccer-Moms

Die Immigranten aus Mittelamerika und die Kids aus den weißen Vorstädten sollen den Fußball zur fünften großen Sportart in den USA avancieren lassen  ■ Aus Washington Andrzej Pyrka

Washingtons Torjäger Raúl Diaz Arce schiebt den Ball zum 1:0 für D.C. United hinter die Linie. Milton brüllt ein spanisch klingendes „Goal!“ heraus und legt für einen Moment die Congas aus der Hand. Milton und ein Dutzend lateinamerikanische Perkussionisten heizen mit pulsierenden Latino-Rhythmen das Robert-F.-Kennedy-Stadion entschieden stärker auf, als es das Gegröle auf Schalke jemals könnte. Etwa 80 Prozent der Stadionbesucher beim Punktspiel der amerikanischen Profiliga Major League Soccer (MLS) sind Mittelamerikaner. Wie sein Idol Diaz Arce stammt der 19jährige Milton aus El Salvador und ist vor wenigen Jahren mit seinen Eltern in die USA emigriert. Er fühlt sich wohl hier und hat sich ohne große Probleme in die amerikanische Gesellschaft einfügen können.

Etwas fremd blieben ihm nur die Sportarten der Nordamerikaner. Mit Football und Baseball hat er nie etwas anfangen können. Und daher spielt er mit seinen Freunden im Park den Straßensport seiner Heimat: Fußball. Wie Milton möchten die meisten Hispanics in den Vereinigten Staaten ihren Sport nicht missen und könnten so zum wichtigsten Faktor beim Aufstieg von Soccer in den USA werden.

„Fußball zu hassen“, schrieb Tom Weir noch 1993 in der Boulevardzeitung USA Today, „ist amerikanischer als apple pie und pickup-trucks“, und in Soccer News versammelte Mark Salisbury amerikanische Vorurteile gegen den beliebtesten Sport der Welt: „Fußball ist etwas für dickbebrillte Streber, ein Ausländer-Spiel mit gewalttätig-verrückten Fans, unmännlich, einfach unamerikanisch.“ Doch scheint sich jetzt, im Jahre drei nach der WM und im zweiten Jahr der MLS (Werbemotto: „This stuff kicks!“), das Blatt zu wenden: Nach einem Zuwachs bei männlichen Spielern um 15 Prozent im Jahre 1996 ist Soccer schon der Sport mit den meisten organisierten Aktiven. Im Schnitt finden sich knapp 15.000 Zuschauer in MLS-Stadien ein.

Im Fernsehen werden die Punktspiele oftmals jedoch nur unter der Woche auf Kabelsendern wie ESPN oder ESPN 2 übertragen. Der Zuschauerschnitt von einer halben Million pro Spiel überrascht da positiv. „Erst langsam entsteht ein Markt, der Fußball auch wirtschaftlich attraktiv macht“, sagt Keith Tabatznik, Trainer der Georgetown Hoyas, einem der erfolgreichsten College- Soccerteams der USA.

Mit einer langsamen Entwicklung will die MLS dem Schicksal der letzten US-Profiliga entgehen, die Mitte der 80er mit Spielern wie Pelé, Beckenbauer oder Cruyff schnell expandierte und genauso schnell zusammenbrach. Man beschränkt sich zunächst auf zehn Mannschaften; selten findet man große Namen wie den der italienischen Torwart-Ikone Walter Zenga, der hier 37jährig seine Karriere ausklingen läßt. Mit Begeisterung vernehmen die amerikanischen Fußballer, daß Jürgen Klinsmann ähnliches erwägt. Stars der neuen Liga sind auslandserfahrene US-Spieler wie Thomas Dooley oder Eric Wynalda, beide aus der Bundesliga bekannt, und zu einem großen Teil süd- und mittelamerikanische Ballkünstler. „Leute wie der Bolivianer Marco Etcheverry spielen auf Weltklasse-Niveau, die MLS bietet ihnen dabei eine bessere Bühne für ihre Künste als ihre Heimat-Ligen“, so Tabatznik.

Etcheverry spielt wie Diaz Arce für D.C. United, den Meister der ersten MLS-Saison. Die Mannschaft aus der Hauptstadt Washington gilt auch vor den am 4. Oktober beginnenden Play-offs erneut als Titelfavorit. Ihr Kapital sind die Latino-Stars, die eine große Zahl Landsleute ins Stadion locken. Die Immigranten gewinnen immer mehr an Gewicht: Derzeit leben 30 Millionen Hispanics in den USA, ein Zehntel der Gesamtbevölkerung; allein 1995 kamen neun Millionen ins Land. Mit sich bringen sie den Fußball. „Die größte Herausforderung für unsere Fußballvereinigungen ist es derzeit, die Millionen von neuen Spielern in den US- Sport zu integrieren“, sagt Coach Tabatznik. „Bislang spielen sie zumeist noch unter sich, in ihren Vierteln.“

Doch ein Straßensport war Soccer in den USA nie; in den Ghettos der großen Städte träumen die schwarzen Kids beim täglichen Wurftraining vom Aufstieg in die NBA. Fußball war stets der Sport der reichen weißen Vorstädte. Präsident Clintons Tochter Chelsea ist begeisterte Fußballerin, und ihr Vater sprach im letzten Wahlkampf explizit die politische Klasse der „Soccer-Moms“ an, jene Vorstadtmütter der oberen Mittelklasse, die regelmäßig ihre Kinder zum Fußballtraining fahren. Immer mehr Eltern entscheiden sich für Fußball als Sport ihrer Kinder, da er ihnen weniger gefährlich scheint als Football oder Baseball.

Wenn es zusätzlich noch gelingt, den hispanischen Fußball zu organisieren und Soccer somit in die Städte zu bringen, erwächst daraus ein gewaltiges Heer von Spielern und potentiellen Zuschauern. Keith Tabatznik: „Die Fußballweltmeisterschaft 1994 in den USA hat Massen von begeisterten Zuschauern geschaffen.“ Die MLS hält die Begeisterung aufrecht, indem sie viele lokale Stars schafft, mit denen sich die Jugendlichen identifizieren können. Die Industrie scheint den entstehenden Markt erkannt zu haben: Nike zielt mit seiner neuen „Futból“-Kampagne vor allem auf die lateinamerikanische Kundschaft ab, adidas unterstützt Jugend- und Highschool-Teams.

Beim Siegesjubel der D.C.-Fans hat sich die 23jährige Betty Mackaul unter die Trommler gemischt. Sie ist seit ihrem fünften Lebensjahr Fußballerin und spielt jetzt in ihrem Collegeteam. Beim Aufstieg des US-Soccer sind ihr natürlich die Frauen besonders wichtig: „Der Olympiasieg unserer Fußballerinnen in Atlanta hat uns zu internationaler Beachtung verholfen.“ Im nächsten Jahr soll endlich auch die neue Profiliga der Frauen starten. „Hier spielt jedes neunjährige Mädchen Fußball“, übertreibt Betty nur wenig, „dazu immer mehr Jungen. In zehn Jahren ist Soccer mindestens so groß wie Football, Baseball, Basketball und Hockey.“