Duldung für Vietnamesen

■ Urteil mit brisanter politischer Botschaft

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, ausreisepflichtigen Vietnamesen eine Duldung zu erteilen, wird bei Unterstützergruppen von Flüchtlingen Genugtuung auslösen. Das Gericht hat bestätigt, was das Ausländergesetz vorsieht, „eine Duldung zu erteilen, solange die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist“. Beunruhigend ist die politische Botschaft des Urteils. Sie lautet: Wie lange sich ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland aufhalten, bestimmt nicht mehr der Gesetzgeber, sondern bestimmen einzig die Herkunftsländer und die Zuwanderer selbst.

Das kann nicht bejubelt werden. Denn bundesweit halten sich 150.000 Ausreisepflichtige – ohne bosnische Kriegsflüchtlinge – in Deutschland auf, ohne Arbeits- und Ausbildungserlaubnis, also ohne jede Integrationschance. Was soll aus ihnen werden? Haben sie nicht angesichts ihrer Perspektivlosigkeit oft nur den einen Wunsch, viel Geld zu machen? Wie geht das ohne legale Arbeit? „So gebt ihnen doch Arbeits- und Ausbildungsplätze!“ lautet die Forderung von Unterstützergruppen. Sie vergessen, daß mehr als 700.000 arbeitslose Ausländer mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis sich seit Jahrzehnten hier aufhalten. Sie brauchen Arbeitsplätze.

Was ist zu tun? Der Paragraph 55 des Ausländergesetzes muß um eine Regelung ergänzt werden, nach der Duldungen nicht erteilt werden können, wenn der Zuwanderer freiwillig ausreisen kann. Herkunftsländer, die den völkerrechtlichen Grundsatz mißachten, die eigenen Staatsbürger aufzunehmen, müssen politisch und finanziell zur Rechenschaft gezogen werden. Schließlich: Wer nach gründlicher Prüfung, die auch die Situation im Heimatland umfaßt, freiwillig zurückkehren kann, der kann nur noch in Härtefällen weiterhin finanzielle Leistungen erhalten. Ich mag damit ausländerpolitische Tabus verletzen.

Bei dem Thema Integration und Migration geht es aber allein um die verantwortungsvolle Abwägung von Alternativen. Es wäre unverantwortlich, dieses Thema den Radikalen zu überlassen. Die Parteien der Mitte sind in der Pflicht, sich die Zustimmung für eine human gesteuerte Zuwanderungspolitik zu holen, indem sie rechtlich und politisch eine Trennlinie ziehen zwischen Zuwanderung plus Integration und Zuwanderung ohne Eingliederungschancen. Barbara John

ist Ausländerbeauftragte des Berliner Senats