: Im Ausland wächst das Ansehen des neuen albanischen Premiers, zu Hause steht Fatos Nano die Nagelprobe noch bevor: Während Ex-Präsident Berisha öffentlich Stimmung macht, fordern die Albaner ihre bei dubiosen Firmen angelegten Ersparnisse zurück. Aus Tirana Thomas Schmid
Eine Frage der Ehre
Auf dem Skanderbeg-Platz im Herzen Tiranas, einst geschaffen für staatlich organisierte Massenaufmärsche, versammeln sich jeden Abend um halb sieben an die tausend Menschen. Sie füllen, locker gestreut, gerade eine Ecke des größten Platzes in Europa aus. Ihr Motto: „Unser Parlament ist die Straße!“ Die Parole hat kein kommunistischer Agitator ausgegeben, sondern ein Mann, der sich seinem Volk fünf Jahre lang vornehmlich in staatsmännischer Pose gezeigt hat: Sali Berisha, der Ex-Präsident, wettert jeden Abend unter freiem Himmel gegen die „neue kommunistische Diktatur“, und immer verkündet hinter ihm ein Transparent: „Azem Hajdari – Held der Demokratie“.
Hajdari führte Ende 1990 eine Demonstration an, die den Zusammenbruch des kommunistischen Regimes einleitete. Seit jenen Tagen gehört der heutige Parlamentsabgeordnete zu den Koryphäen der Demokratischen Partei Berishas. Seine Gegner hingegen warfen ihm schon immer rüde Umgangsformen vor. Mitte September stieß der Heißsporn vor laufenden Kameras im Parlament Gafurr Mazreku, einen Abgeordneten der regierenden Sozialistischen Partei, von der Rednertribüne. Zwei Tage später gab dieser im Parlamentsgebäude vier Schüsse auf Hajdari ab. Der überlebte.
Das Attentat erklärt sich nur aus dem alten Ehrenkodex; beide Kontrahenten stammen aus dem rückständigen äußersten Norden des Landes, wo die Blutrache weit verbreitet ist. Sali Berisha fordert seit dem blutigen Vorfall den Rücktritt des neuen (sozialistischen) Ministerpräsidenten Fatos Nano. Der sei, so behauptet er, ohne auch nur das geringste Indiz zu liefern, „definitiv der Anstifter dieses Attentats“. Und solange der Mann nicht zurückgetreten sei, werde die Demokratische Partei, seit den Wahlen Ende Juni die stärkste Kraft der albanischen Opposition, dem Parlament fernbleiben.
So führt nun der jahrelang international gehätschelte Ex- Präsident auf dem Skanderbeg-Platz die außerparlamentische Opposition an, während sein Widersacher Fatos Nano von Hongkong nach Washington jettet – von den Direktoren des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank 50 Millionen Dollar Nothilfe loseist und der US- Außenministerin von der Normalisierung in seinem Land berichtet.
Der neue Ministerpräsident ist auf dem besten Weg, sich internationales Renommee zu verschaffen. Befürchtungen, wonach der Politiker, der dem letzten kommunistischen Staatspräsidenten schon als Premier gedient hatte und von Berishas Justiz in einem skandalösen Prozeß zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, sich nach dem fulminanten Wahlsieg seiner Partei an den Verlierern rächen würde, sind längst verflogen. Der Albanien-Beauftragte der OSZE, Franz Vranitzky, sieht daher seine Aufgabe als erfüllt an. Er werde, so gab Österreichs Ex-Bundeskanzler gestern bekannt, das Amt Ende Oktober niederlegen.
Während Berisha eine Herrschaft begründete, die den Staat in einer Weise als ihr Eigentum verwaltete, die zuweilen an die alten kommunistischen Verhältnisse erinnerte, sind die zu Sozialisten gewendeten Ex-Kommunisten klug genug, alles zu vermeiden, was nach Parteiherrschaft ausschauen könnte. Berishas Nachfolger im Amt des Staatschefs wurde Rexhep Mejdani, der der Partei erst ein Jahr zuvor beigetreten war und sich nun auf repräsentative Aufgaben beschränkt. Und obwohl die Sozialistische Partei nach den neuesten Wahlen nun fast zwei Drittel der Parlamentssitze einnimmt, hat sie vier weitere Parteien ins Kabinett geholt und ihnen auch zentrale Ministerien überlassen. Innenminister Neratin Ceka (siehe Interview) gehört der Demokratischen Allianz an, Außenminister Paskal Milo der Sozialdemokratischen Partei.
Während Nano im Ausland Anerkennung genießt, steht ihm beim Volk die Nagelprobe noch bevor. Berisha ist schließlich nicht über seinen autokratischen Stil oder den Wahlbetrug von 1996 gestürzt, sondern über den Zusammenbruch der „Pyramiden“, jener dubiosen Finanzgesellschaften, denen die Albaner Ersparnisse in Höhe von anderthalb Milliarden Dollar anvertraut haben. Und Nano hat die Wahlen nicht zuletzt mit seiner landesweit ausgestrahlten Rede in Vlorä, dem Zentrum des Aufstands, gewonnen. „Die Sozialistische Partei“, so versprach er dort dem Volk, „wird für die bei den Pyramiden verlorenen Ersparnisse der Bürger maximal aufkommen.“
Viele Kleinsparer haben dies so verstanden, daß sie hundert Prozent ihrer Ersparnisse zurückerhalten werden. In Kreisen der Sozialistischen Partei wird dieses „maximal“ als „weitestmöglich“ interpretiert. Und was möglich ist, will die neue Regierung nun untersuchen. Sie hat, wie von den internationalen Finanzinstitutionen gefordert, eine „Transparenzkommission“ eingerichtet, die unter Hinzuziehung ausländischer Experten (Kostenpunkt: 6 Millionen Dollar) die Pyramiden durchleuchten soll – allen voran die noch nicht zusammengebrochene Vefa- Holding des Multimilliardärs Vehbi Alimucaj, von der 60.000 Gläubiger ihre Ersparnisse zurückfordern.
„Wir werden mit der Vefa beginnen“, sagte Nano vor kurzem öffentlich. Doch Alimucaj will sich nicht in die Karten gucken lassen. „Wir können das Geld der Vefa selbst verwalten“, meinte er jüngst trocken und fügte hinzu: „Ich bin in Albanien geblieben und nicht abgehauen.“ Der Nachsatz hörte sich wie eine leise Drohung an: Ich kann ja auch die Mücke machen.
Die erste Runde hat der Milliardär, der sich die Lizenz für den Verkauf zahlreicher ausländischer Produkte gesichert hat, gewonnen. In erster Instanz entschied ein Gericht, daß die Transparenzkommission kein Recht habe, die Bücher der Vefa zu kontrollieren. Doch in zweiter Instanz wird dieses Urteil vermutlich aufgehoben. Denn daß die Vefa, anders als Alimucaj mit seinem Hinweis auf die Tätigkeiten seiner Holding glauben machen will, nach dem Pyramiden-System funktioniert hat, steht außer Frage. Die Durchleuchtung des Finanzriesen, der Berishas Partei oft großzügig unter die Arme gegriffen hat, könnte auch den Zusammenbruch einleiten. Die Enttäuschung der 60.000 Kleinsparer wäre groß. Neue Unruhen mag für diesen Fall niemand ausschließen. Doch Nano scheint bereit, dieses Risiko in Kauf zu nehmen. Die internationale Finanzwelt hat ihm ihre Konditionen klargemacht: Ruhe und Ordnung im Land und Schluß mit den Pyramiden.
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