Comeback hin, Reichtum her

Edwyn Collins hat mit „I'm Not Following You“ ein hübsches Album ohne Blick auf die Zeitskala produziert  ■ Von Georg Hermens

Die spinnen, die Engländer. Jede Schülerband, der man das zweifelhafte Prädikat Britpop aufpappen kann, wird in Titelstories gefeiert. Aber wenn verdiente Veteranen wie Prefab Sprout, Morrissey oder jetzt Edwyn Collins mit „I'm Not Following You“ neue, wunderschöne Alben veröffentlichen, dann zögert der NME nicht, Collins einen „funky Opa“ zu schimpfen, der sie nicht mehr alle hat („He's a very confused bunny indeed“). Das alles, während hierzulande kollektiv gejubelt wird – wohl, weil dank Sounds und Spex die Popsommer 82/83 immer noch als legendär gelten.

Die Erinnerung an diese seligen Zeiten gibt einem das Gefühl, man hätte mit Edwyn zusammen vieles durchgemacht und sähe ihn nun nach langer Zeit wieder: Und, alter Kumpel! Wie läuft's? Und wie geht's Frau und Kind?“

Nun, Frau und Kind geht es gut – wieder. Die gesettelte Kleinfamilie ist nach „A Girl Like You“ – das in England durch seinen Einsatz in der Revlon-Werbung weiter für ordentliche Kontobewegungen sorgt – aus einer Einzimmerwohnung in ein Haus mit Garten nach West Hampstead gezogen. Edwyn sieht es mit Understatement: „Ja, Grace und ich, wir können William jetzt endlich wieder Weihnachtsgeschenke kaufen.“

Comeback hin, Reichtum her, nach wie vor ist Collins der renitente Einzelgänger. Der Titel seiner Platte bezieht sich nicht allein auf das sexistische Gestammel Mick Hucknalls, der in einer englischen Talkshow erklärt hatte, daß er Frauen vergöttere, sie seien der Quell seiner Inspiration (Edwyn: „So ein Quatsch! Wie kann man alle Frauen auf eine Stufe stellen, so, als wären sie beliebig austauschbar?“), sondern auch auf die Ansprüche der Musikindustrie, die vom König der Twang Guitar einen Nachfolgehit für „A Girl Like You“ erwartet. Dabei war das Stück nie „Britpop“. „Die dachten damals: ,Was macht der verdammte Idiot Edwyn Collins mit diesem Riesenhit auf Kultlevel?‘ Also mußten sie mich irgendwie im Zeitgeist verorten.“

Aber was ist Collins' Musik dann? Vielleicht „retro“ – man denke nur an Beck? Da huscht ein Lächeln durch das von Akne geplagte Große-Jungs-Gesicht. Edwyn zieht eine Braue hoch, um – nun wieder ganz ernsthaft – zu dozieren: „Ich sehe den gemeinsamen Country-Einfluß, aber ich stehe nicht so auf Delta-Blues.“ Und daß Beck ja vor allem von Old-School-HipHop geprägt sei, wohingegen er auf Siebziger-Soul stehe, vor allem eben auf die Sachen vom Stax-Label: „Von Jean Knight, ,Mr. Big Stuff‘, das ist die erste Swingbeat-Platte ever!“

Dann sagt er: „Mich stört dieses Label ,Retro‘ überhaupt nicht. Meine Musik spiegelt halt das wieder, was ich Leben nenne.“ Und in der Tat ist „I'm Not Following You“ stark autobiographisch. Seine ganze musikalische Sozialisation hat Edwyn in die zwölf Songs gepackt. Seine Ressentiments gegen Britpop („Keep on burning“) und die Kombination von Markenfetischismus und Hyperkapitalismus („Adidas world“) finden sich hier genauso wie der Rap eines weiteren alten Helden, Mark E. Smith, oder die zu perfektem Al-Green-Pasticcio vorgetragenen, sentimentalen Zeilen aus „Running away with myself“: „I'm going back to my old school, cause to tell you the truth, all those songs of my youth move this old fool.“ Soul haben, side haben, darauf kommt es an.

Einige Stücke klingen arg nach Orange Juice anno 1982/83, Edwyns alter Band, die mit „Rip It Up“ ihren einen Top-Ten-Hit hatte. Stolz läßt er einfließen, daß sie damals schon den für Acid House essentiellen Bassline-Sequenzer TB 303 benutzt, aber richtige Drums draufgesetzt hätten. Das Ergebnis: eine Mischung aus Chic und Seventies-Soul.

Das war und ist für Edwyn die Stärke der damals weltweit erfolgreichen britischen Pop-Helden von ABC über Culture Club bis zu Spandau Ballet: daß sie stark von Soul und schwarzer Musik beeinflußt waren. Ein Modell, daß er auch dem im globalen Maßstab eher dahindarbenden Britpop wärmsten empfiehlt: „Über kurz oder lang werden sie die Dance- Einflüsse einbauen müssen. Aber Noel Gallagher hat ja schon bei den Chemical Brothers gesungen.“

Collins selbst sieht sich in einem „Pop-Rock-Kontext mit DanceElementen“, aber ohne „Blick auf die Zeitskala“. Ein emotionaler Eklektizist. Was keineswegs heißt, daß er nicht zu ein paar sehr gelehrten Exkursen in der Lage wäre, im Gegenteil. Souverän zählt er dem Unkundigen die Einflüsse seiner Single „Magic Piper“ auf: „Das Stück ist beeinflußt davon, wie Prince Paul ,Three Feet High And Rising‘ von De la Soul produziert hat, von Neil Youngs Gitarrenspiel auf Buffalo Springfields ,For What It's Worth‘, von Crispian St. Peter's Sechziger-Hit ,Follow Me, I'm The Pied Piper' und von der Sorte Blaxploitation-Musik, die es immer in Starsky & Hutch gab, mit diesen albernen Jazz-Funk-Flöten.“ Freuen wir uns auf die nächste Lektion des dozierenden Lad!