EU-Kommissarin verhaftet

■ Taliban nehmen in Kabul Emma Bonino fest. Die Italienerin wollte auf die Lage der Frauen in Afghanistan aufmerksam machen. Die EU unterstützt ausschließlich humanitäre Projekte

Brüssel (taz) – Die EU-Kommissarin für humanitäre Angelegenheiten, Emma Bonino, drängte es schon lange, die Welt auf die Unterdrückung der Frauen in Afghanistan durch die Taliban-Regierung aufmerksam zu machen. Bereits einen halben Tag nach ihrer Ankunft in Kabul wurde sie gestern mit mehreren Begleitern festgenommen und erst nach einem mehrstündigen Verhör wieder freigelassen. „Wir sind mit Kalaschnikows bedroht worden“, sagte Bonino dem US-Fernsehsender CNN, „die Situation war äußerst gespannt.“

Nach ihrer Freilassung fuhr sie ins Außenministerium, um dort über die humanitäre Situation im Lande und über die laufenden EU- Hilfen zu sprechen. Die Europäische Union finanziert in Afghanistan humanitäre Hilfsprojekte mit insgesamt 60 Millionen Mark. Das Geld fließt ausschließlich an Nichtregierungsorganisationen wie terre des hommes, Handicap International und das Internationale Rote Kreuz. Die italienische EU- Kommissarin, deren Rang und Aufgaben denen einer EU-Entwicklungsministerin entsprechen, ist die bisher höchstrangige westliche Politikerin, die das Land besucht.

Schon bei der Vorbereitung der Reise ließ sie durchblicken, daß sie in Kabul gegen den „Geschlechterrassismus“ protestieren wollte. Seit der Machtübernahme der Taliban, die zwei Drittel des Landes kontrollieren, sind afghanische Frauen weitgehend rechtlos. Sie müssen sich vollständig verhüllen und dürfen keinen Beruf mehr ausüben. Nur niedere Arbeiten in Kliniken sind ihnen noch gestattet. Bonino gilt in Brüssel als engagierte Überzeugungstäterin, die sich auch durch drohende Verhaftungen nicht abschrecken läßt. In Italien war sie bereits wegen ihres Einsatzes für das Recht auf Abtreibung, in den USA wegen ihres öffentlichen Eintretens für eine liberalere Drogenpolitik in Haft. In Afghanistan mußte sie nicht erst öffentlich protestieren.

Der Anlaß für ihre Festnahme war eher banal. Mitreisende Journalisten hatten in einem Gesundheitszentrum für Mütter und Kinder Frauen fotografiert. Nach Taliban-Gesetz ist das nur Familienangehörigen gestattet. Die Polizei soll daraufhin einen Teil der 20köpfigen Reisegruppe abgeführt haben. Ob dabei auch einige Journalisten von den Polizisten geschlagen wurden, darüber gingen die Meldungen gestern noch auseinander. Ein Sprecher der EU- Kommission in Brüssel beeilte sich gestern zu versichern, daß Emma Bonino auf einer „ausschließlich humanitären Mission“ in Kabul unterwegs gewesen sei. Von einem Eintreten Boninos für die Rechte der afghanischen Frauen erwähnte er nichts. Auf die Afghanistan- Hilfe der EU habe der Vorfall keine Auswirkungen, da die Mittel nicht an die Regierung, sondern ausschließlich an die Bevölkerung flössen. Alois Berger