Versteht sich als Dirigent

■ Sind es kleinbürgerliche Relikte, ist es Kontext-Pop oder DJ-Culture? Das Kunsthaus Zürich zeigt Bilderwände und Plattencover-Collagen des Schweizers Christian Marclay

Da hängen sie, dicht an dicht, Rahmen an Rahmen. Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte, Fotografien. Alles durcheinander. Jugendstil, Expressionismus, Kubismus – alle Stile, alle Genres, alle Formate. Kanonische Werke von Munch, Picasso, Kokoschka oder Robert Frank hängen neben Nebensächlichkeiten und Epigonalia.

Eines aber verbindet alle aus ihrem Kontext gerissenen und an der langen Wand des Zürcher Kunsthauses angeordneten Bilder. In jedem Bild steckt Musik. Ob einige Instrumente als Stilleben angeordnet sind, ob Louis Armstrong mit dicken Backen in seine Trompete bläst, ob sich eine Lautenspielerin in Zöllners Gemälde „Wein, Weib und Gesang“ (1849) von einem trinkfesten Sänger betatschen lassen muß, oder ob ein Indiojunge flötenspielend durch Peru wandert, wie in Werner Bischofs Fotografie von 1954: Zusammen bilden sie eine Wand des Klangs. „Wall of Sound“ – das ist der Titel dieser Arbeit von Christian Marclay. Er hat in den Archiven des Kunsthauses geforscht und alle dort verfügbaren Bilder, in denen Musik von unterschiedlichem Belang ist, herausgesucht und an dieser Wand zusammengehängt.

„Arranged and conducted“, diese für Musikaufnahmen typische Angabe ist dementsprechend der Titel für eine Ausstellung, die Marcley derzeit in Zürich zeigt. Sound and Vision – zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Arbeit Christian Marclays, der 1955 in Genf geboren wurde und in New York lebt. Dabei hat er sich immer für die Überreste der Musik interessiert, für das, was dieses ephemere Phänomen zu einem dauerhaften machen soll: Schallplatten, Tonbänder; auch Fotos von Freizeitmusikern, die er 1995 bei der Biennale in Venedig zeigte, oder Schallplattencover und Tapeten oder Textilien, die mit musikalischen Motiven bedruckt wurden (letztere sind auch Teil seiner Zürcher Ausstellung). Vor der „Wall of Sound“ stehen die „Musical Chairs“, Stühle, deren Sitzflächen mit Stoffen bezogen sind, die wiederum mit entsprechenden Mustern und Ornamenten bedruckt wurden: Singvögel, Elvis, Notenschlüssel. Und auch das Aufsichtspersonal – ein etwas zu nett geratenes Aperçu – wandelt mit Anzügen aus derartigem Material durch die Hallen.

Abzusehen war der Weg ins Museum nicht. Eher schon sieht Christian Marclay, der dieses Jahr den „Preis für Junge Kunst der Zürcher Kunstgesellschaft“ erhalten hat, im Punkrock seine Wurzeln: „Diese plötzliche Energie, die Leute zu Musikern machte, die nicht im konventionellen Sinn als solche ausgebildet waren, war sehr befreiend: Nimm eine Gitarre und tu es!“ Marclay nahm sich allerdings keine Gitarre, sondern Schallplatten und Plattenspieler. Beeindruckt von Laurie Anderson und Dan Graham, versuchte Marclay visuelle und theatralische Aspekte in Performances mit akustischen Events zusammenzubringen. Er beklebte, zerkratzte und zerbrach die schwarzen Scheiben, bevor er sie auf bis zu acht Plattenspielern simultan abspielte. Damit gehört Marclay zu den ersten DJs, denen es darum ging, aus Soundfragmenten einen Mix zu gestalten, der als neuartiges und eigenständiges akustisches Werk funktioniert.

Auf der gerade erschienenen CD „Records 1981–1989“ ist zu hören, wie bei Marclay begann, was heute als DJ-Culture in aller Munde ist. Allerdings sind seine Mixes nicht auf Clubatmosphäre aus oder wie der gleichzeitig entstandene HipHop auf das Zusammenschneiden von Beats. Der Marclay-Mix hat einen extrem experimentellen Charakter. Daß Thurston Moore, Sänger und Gitarrist von Sonic Youth, die Linernotes zu Marclays „Records“ schrieb, zeigt, daß dieser in der New Yorker Art-Rock-Fraktion der späten Siebziger, frühen Achtziger anerkannt war. „Bis Mitte der achtziger Jahre“, erzählt Marclay, „war ich ständig auf Tour. Diese Zeit war sehr wichtig für mich, da ich immer mit sehr guten Musikern zusammengearbeitet habe. Zu ihren Instrumentalkünsten addierte ich meine Improvisationen mit den Plattenspielern. John Zorn etwa schätzte es immer sehr, wenn ich zu seinen Stücken einen Bogen über die unterschiedlichsten Referenzen, die die Aufnahmegeschichte bietet, spannen konnte.“

Während dieser Zeit arbeitete Marclay aber schon mit Objekten und Bildern, die im Umfeld der Erzeugung und der Reproduktion von Klängen entstanden. Insbesondere mit Plattencovern, die er zu Collagen arrangierte oder – ähnlich wie mit den Platten selbst – zerschnitt und neu zusammensetzte. Eine große Auswahl dieser bearbeiteten Cover ist jetzt in Zürich zu sehen. Dabei geht es ihm nicht um die inhaltlichen Referenzen. Sowenig wie er bei seinen Mixes auf Interpret und Stücktitel achtet, so sehr verwischt er auch die visuellen Kontexte. Die Bilder sind der dauerhafte Überschuß der im Moment des Gehörtwerdens auch schon verschwindenden Musik: „Mich interessiert, wie Musik transformiert wird in Material, ob als Platte oder mit dem Cover. Und wie diese Objekte wiederum unsere Beziehung zu Musik und Klängen allgemein betreffen.“

Allerdings gibt es auch Arbeiten von Marclay, die die im Material angelegten Referenzen gerade wieder hervorheben. Sein Beitrag zur Gruppenausstellung „Post Human“ (1993) etwa spürte die sexistischen Vermarktungsimages von Popmusik auf. Wieder anders gelagert sind die inhaltlichen Bezüge in einer seiner bekanntesten Arbeiten, „The Beatles“ (1989). Er hat dafür sämtliche Songs der Beatles auf Tonband aufgezeichnet und ließ dieses Tonband dann zu einem Kissen häkeln.

Die Form des Kissens ist dabei in zweierlei Hinsicht zu verstehen: zum einen ist das Kissen als Bestandteil des Wohnzimmers, plaziert in Sofaecken, ein kleinbürgerliches Relikt. Die Musik der Beatles und die damit historisch verbundenen Aufbrüche (Teenager-Bewußtsein, popmusikalische Experimentalität) wirken in diesem Milieu stillgestellt und ihrer emanzipativen Energien beraubt. Zum anderen ist das Kissen objektgewordene Metapher der Ruhe, des Schlafes. Damit ist in Marclays Arbeit eine Kritik an der Pop-Rezeption einer bestimmten Generation angelegt, jener MusikhörerInnen also, für die die Musik der Beatles – und damit die Popmusik der sechziger Jahre: Rolling Stones, Kinks, Who etc. – zur Folie ihrer Beurteilung der danach folgenden Strömungen geworden ist.

Diese „Matrixerfahrung“, wie sie der Rockkritiker Klaus Walter nennt, wird als unhintergehbarer Maßstab gesetzt. Marclays Arbeit, auch wenn sich die Materialfrage oft in den Vordergrund drängelt, ist gegen eine derartige Hypostasierung vergangener Zeiten gerichtet. „Obwohl meine Arbeit mit einer aussterbenden Kultur verbunden ist, der Vinylkultur“, erklärt Marcley, „gibt es darin nichts, was nostalgisch gemeint ist. Ganz im Gegenteil: ich zerstöre das, was zum Bewahren erfunden wurde.“ Martin Pesch

„Arranged and conducted by Christian Marcley“, bis 26.10., Kunsthaus Zürich. Christian Marcley: „Records“ (Atavistic Records)