Und Rettung lauert überall

Los Angeles in Flammen. Ein Vulkan bricht unter der Stadt der Engel aus. Wenn Gott in Form von Special effects spricht, kann man nur schweigen. Zum Feuerwerk staunen sogar die Schauspieler mit offenem Mund. Katastrophenfilme kann jeder: Dies hier ist „Volcano“  ■ Von Harry Nutt

Auf diesen Filmanfang hätte man wetten können. Eine Kamerafahrt über die Wolkenkratzer von L.A. und dazu aus dem Radio der Wetterbericht. Ein Musilscher Beginn. Am Anfang eines Katastrophenfilms scheint immer die Sonne. Aber während sich das Unheil in den gewöhnlichen Exemplaren des Genres ganz langsam und allmählich entfaltet – zunächst künden kaum vernehmbare Zeichen vom apokalyptischen Beben –, kommt „Volcano“ ziemlich schnell zur Sache.

Unter der Stadt der Engel beginnt es zu brodeln, und schon nach wenigen Minuten bricht es aus allen Ritzen hervor. Erdbeben ist ein zu schwaches Wort für das, was folgt, und auf der Richter- Skala ist bald nichts mehr zu messen: Dies hier ist „Volcano“. Es bleibt gerade noch die Bemerkung, daß sich der See in McArthurs Park binnen kurzer Zeit um ungewöhnliche drei Grad Celsius erwärmt hat, dann schießt auch schon der Dampf aus der Erde.

Zum Inferno wächst das Menschliche auch

Mike Roark (Tommy Lee Jones) wird als Chef der Notfallzentrale von Los Angeles zum Herrn der Feuer. Immer stemmt sich ein einzelner gegen das übermächtige Unheil – das ist übrigens auch in subtileren Versionen des Katastrophenfilms der Fall. Gemeinsam mit der Seismologin Dr. Amy Barnes (Anne Heche) stellt er sich mutig und unerschrocken den wie ein böses Schlammonster durch die Stadt fließenden Lavaströmen. Eigentlich müßte jetzt Liebe statthaben zwischen den beiden, aber dafür läßt die Natur keine Zeit. Die Zuneigung richtet sich von jetzt an aufs große Ganze. Der drohende Untergang befriedet die menschliche Natur, denn wo das Inferno tobt, wächst das Menschliche auch. Der Katastrophenfilm ist immer die Bebilderung des emphatischen Ausdrucks des Humanen. Die ganze Stadt steht auf dem Spiel und feiert sich nicht zuletzt als Möglichkeit von Gemeinschaft. Party-Time in Sodom und Gomorrha, alles wird gut. Wo die wilden Feuer toben, hat der kriminelle Nichtsnutz nichts Besseres zu tun, als den Hilfsmannschaften tatkräftig zur Seite zu stehn.

Das Gelingen des Films hängt vom Zauber der Effekte ab. In Mick Jacksons perfekt inszeniertem Feuerwerk von einstürzenden Neubauten, fliegenden Feuerklumpen mit anhaltendem Lavaregen ist das Staunen auf seiten der Akteure. Wenn Gott in Form von Special effects spricht, gibt es nichts mehr zu tun als schweigen. Tatsächlich steht Mike Roark, von Berufs wegen für die Katastrophenkontrolle zuständig, ein ums andere Mal mit offenem Mund da. Laß es strömen, sagt seine innere Stimme, aber der ängstliche Zuschauer ruft: Wehr dich! Und dann rettet der Alleinerziehende seine Tochter, die ein ums andere Mal von der Lava verschlungen zu werden droht.

Bei Halbzeit kommt Ordnung ins Chaos

Bis zur Halbzeit herrscht Feuerspeien und haltloses Auseinanderbersten. Opfer müssen gebracht werden. Der geübte Kinogänger erkennt meist schon am Gesichtsausdruck, welchen armen Tropf es in der nächsten Minute treffen wird. Die ahnungsvolle Kollegin von Amy gleich zu Beginn und den einen U-Bahnführer rettenden Hilfswerker mittendrin. Nach einer Stunde geht dann ein Ruck durch den Film. Es kommt Ordnung ins Chaos, die Lavaströme werden gestaut und umgeleitet. Mike Roark ist nun einmal ein kulturschaffender Herkules. Der glühende Strom wird durch den U-Bahnschacht ins Meer zurückgeleitet. Und siehe da: Gott nimmt das Gesprächsangebot an.

Der Filmanfang mit Wetterbericht war zwingend, das Ende auch. Randy Newman darf im Dolby- Sound hymnisch werden: „We love L.A.“ Und unsereins geht zufrieden aus dem Kino, daß unser elendiges Dasein noch einmal gerettet worden ist. Wer jetzt von Effekthaschen spricht, hat's nicht verstanden und muß noch mal rein.

„Volcano“. Regie: Mick Jackson. Mit Tommy Lee Jones, Anne Heche, Gaby Hoffmann u.a. USA 1997, 107 Minuten