: "Ich reiste einfach noch mal aus"
■ Astrid Mosch, 38, Bildhauerin und Ostdeutsche, lernte in Westberlin vor allem sich selbst besser kennen
Ich hätte mir einiges ersparen können, wenn ich mit dem Ausreiseantrag noch ein halbes Jahr gewartet hätte – oder über Ungarn abgehauen wäre. Am 13. Mai 1989 durfte ich nach West-Berlin ausreisen. Ich wußte schon damals, daß das nicht meine Lebensalternative war. Aber ich dachte mir, von hier aus habe ich bessere Möglichkeiten, eine Alternative zu finden, wo immer auch die ist.
Der Grund für die Ausreise? Es hing alles zusammen: Ich fühlte mich eingesperrt, reglementiert, man hatte das Gefühl, immer in der gleichen Suppe zu rühren. Ich hätte in der DDR eine leichte Karriere vor mir gehabt, ich hätte mich damit zufriedengeben können. Schon zur 750-Jahr-Feier Berlins hatte ich eine Ausstellung. Ich durfte auch nach Paris reisen. Für Künstler gab es einige Privilegien. Aber ich hätte nie mein Kind oder meinen Partner mitnehmen können.
Ich war auch politisch aktiv, aber nicht so: Ich kämpfe gegen die DDR. Nein, es ging mehr um Zivilcourage. Wir hatten hier in Prenzlauer Berg, in der Oderberger Straße, die erste Bürgerinitiative in Ost-Berlin. Freilich, damals haben wir uns noch nicht so bezeichnet. Hinter unseren Häusern wollte man eine Wohngebietswäscherei bauen – eine Freifläche sollte dafür geopfert, große Kastanien sollten gefällt werden. Wir haben Unterschriften gesammelt und ein Gegenkonzept entwickelt, das wir am Ende auch durchgekriegt haben. Die Freifläche wollten wir nicht hergeben. Wir waren ja schon eingemauert.
Als ich drüben war, habe ich gemerkt, daß mir meine Freunde fehlen – was ja zu erwarten war. Persönlich ging es mir beschissen. Ich habe eine Hauswartswohnung im Bezirk Steglitz an der Schloßstraße bekommen. Wohnraum war knapp, da habe ich halt als Hausmeisterin Treppen geputzt. Mir war jedes Mittel recht, um meine Eigenständigkeit zu erreichen. Ich habe auch woanders geputzt und in einem Freizeitheim gearbeitet. Nebenbei habe ich Kunst gemacht. Später habe ich mich manchmal gefragt, wie ich das schaffen konnte. Vielleicht war es nur die Euphorie eines Neuanfangs. Ich bin ja in diese andere Welt gesprungen – der Westen ist nicht zu mir gegekommen.
Im Freizeitheim habe ich gemerkt, daß der gelernte Westmensch von Natur aus selbstbewußt ist – jedenfalls gibt er sich so. Dann sieht man genauer hin... Ich bin selbst kein Mensch, der unter mangelndem Selbstwertgefühl leidet. So begegnete ich den Leuten nicht als Dumm-Ossi.
Steglitz war nicht meine Welt. Die Menschen waren gestylt, so hübsch angezogen. Es gab so bestimmte Aufsteiger, diese Neureichen. Aber auch, wenn sie altreich gewesen wären – es wäre für mich wohl dasselbe gewesen. Was mich fertig gemacht hat, waren die kleinen Gärten mit den hohen Zäunen. Man konnte keinen Kontakt zu den Nachbarn finden. Das einzige, was ich an Steglitz angenehm fand, war das viele Grün. Man konnte wunderbar mit dem Fahrrad in den Grunewald fahren.
Dann war die Mauer offen.
Aber gleich zurück in den Prenzlauer Berg? Das wäre wie ein Eingeständnis eines Fehlers, eines nichtbewältigten Schrittes gewesen. Ich mußte erst innerlich klären, daß alles seinen Sinn gehabt hatte und daß ich einen Schritt zurück mache, ohne daß es ein Schritt zurück ist. Als ich soweit war, habe ich mir gesagt: Okay, die Erfahrung Westen hast du gemacht. Und dann bin ich einfach nochmal ausgereist.
Im nachhinein muß ich sagen: Es war keine verlorene Zeit. Auf künstlerischem Gebiet habe ich mich weiterentwickelt. Ich hatte in West-Berlin kein Atelier, also habe ich mich in einer Bildhauerwerkstatt eingemietet und angefangen, in ganz anderen Dimensionen zu arbeiten. Ich habe mir eine Kettensäge gekauft. Ich habe zwei Meter achtzig große Holzbalken bearbeitet, habe nicht mehr Modelle benutzt, sondern abstrakt gearbeitet. Die Individualität, die ich in mir hatte, die ich aber nie ausleben konnte, ist frei geworden.
Was ich an den Westlern immer bewundert habe, ist die Konfliktfähigkeit, die Fähigkeit zur Kommunikation. Wenn man ein Problem miteinander hat, trägt man es aus. Im Privaten jedoch empfinde ich sie meistens als zugeknöpfter. Viele verstecken sich hinter ihrer Fassade.
Im Herbst 92 bin ich zurück in den Prenzlauer Berg, in die Oderberger Straße. Ein Bekannter hatte eine Etage in seiner Wohnung frei. Einen Wohnberechtigungsschein hätte ich nicht bekommen. Ich war bei der Wohnungsbaugesellschaft, dort wurde mir gesagt: „Sie sind doch Westbürger.“ Ich sagte: „Ich habe auch mal hier gewohnt.“ Die Antwort war: „Ja, wären Sie nicht ausgereist...“ Jetzt bedauere ich, daß ich unbeweglicher geworden bin.
In Steglitz hatte ich das natürliche Bedürfnis, an schöne Orte in der Stadt zu fahren. Jetzt hält mich der Kiez doch recht fest. Man quatscht unten in der Kneipe, trifft sich mit den Bekannten aus der Straße.
Gleichzeitig verändert sich unsere Gegend. Vor kurzem habe ich eine Wohnung für meine Mutter gesucht. Man findet fast nichts Bezahlbares mehr. Und im Sommer wird unsere Oderberger Straße zur Amüsiermeile, frei nach dem Motto: „Wir amüsieren uns zu Tode.“ Ich fange jetzt auch schon an, die Polizei zu rufen, wenn es zu laut wird. Wie ein spießiger Kleinbürger.
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