"Jedesmal wenn ein Guevara ein Geschäft aufmacht geht es pleite"

Am 26. November 1959 erhält Che seine Staatsbürgerurkunde, die kraft des Gesetzes vom Februar ausgestellt worden ist. Am gleichen Tag wird die Nachricht

veröffentlicht, daß die Regierung ihn zum

Präsidenten der kubanischen Staatsbank gemacht hat. Noch viele Jahre später wird der Witz erzählt [Fidel selbst gibt ihn

wieder], daß der Premierminister bei einer

Versammlung der revolutionären kubanischen Leitung gefragt habe, ob es einen

Freiwilligen für das Amt des Präsidenten der Zentralbank gebe, ob es denn hier

keinen „Ökonomisten“ gebe. Und Che,

der eingedöst war, habe verstanden:

„einen Kommunisten?“ und die Hand

erhoben.

Ches Vater soll auf die Nachricht wie folgt reagiert haben: „Mein Sohn Ernesto soll die Geldmittel der kubanischen Republik verwalten? Fidel ist verrückt. Jedesmal, wenn ein Guevara ein Geschäft aufmacht, geht es pleite.“

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Der US-Botschafter protestiert beim Präsidenten gegen die Ernennung und legt diesem eine Liste von drei möglichen

Alternativkandidaten vor, ohne eine

Antwort zu erhalten. Pardo Llada, Ches ehemaliger Reisegefährte, kommentiert und begrüßt in der Radiosendung „Die Zeitung des Wortes“ die Ernennung Ches und gibt damit eine weitverbreitete

Meinung wieder: „Nur ein Dummkopf kann die enormen Gefahren abstreiten, die für den revolutionären Impuls im

wirtschaftlichen Bereich bestehen. Um unsere Wirtschaft gegen diese schwerwiegenden Eventualitäten zu verteidigen, brauchen wir fähige, mutige und ehrliche Hände.“

Jahre später bietet Che eine Erklärung an: Als die revolutionäre Regierung an die Macht kam, wurden Vorsitz und Vizevorsitz der Bank an die zurückgegeben, die sie vor dem Staatsstreich innehatten: an Dr.

Felipe Pazos und Dr. Justo Carillo. Kaum hatte sich die Revolution in Bewegung gesetzt, wurde festgestellt, daß es einen Engpaß gab, in dem die Wirtschaftsprogramme und die Wünsche für ein schnelles Voranschreiten der Revolution abgewürgt wurden. Dieser Engpaß befand sich genau auf der Ebene der Kreditinstitute. Allerdings bewirkte der Respekt, den viele von uns vor den intellektuellen Fähigkeiten von Dr. Felipe Pazos hatten, daß die endgültige Entscheidung aufgeschoben wurde, an seine Stelle eine Person zu setzen, die natürlich sehr viel unbedeutender in intellektueller Hinsicht [der ewige Sarkasmus des Che] war und von Banken keine Ahnung hatte, wohl aber auf der Linie der revolutionären Regierung war.

Als er die Bank übernimmt, sieht er sich gezwungen, in der Industrieabteilung des INRA Verantwortung abzugeben. Die Industrieabteilung war ein Kind meiner Bemühungen, ich gab sie mit dem Schmerz eines alternden Vaters halb her [denn Orlando Borrego übernimmt das Amt und hält ihn auf dem laufenden], um mich in die nahe Verwandte, die Finanzwissenschaft, zu vertiefen.

[...]

Ches Präsenz und sein Stil führen unverzüglich zu Unruhe unter den alten Bankbeamten. Einer davon beklagt sich: „Das Vorzimmer des Präsidenten ist voller bewaffneter Langhaariger.“ Die Langhaarigen sind Ches jugendliche Bauern, die nun formell Teil seiner Leibwache sind und den Rang von Oberleutnants bekleiden: Hermes Peña, José Argudin, Alberto

Castellanos, Harry Villegas und Leonardo Tamayo.

Zu diesem einzigartigen Team gesellt sich noch Salvador Vilaseca, dem Che die Verwaltung unterstellen möchte. Jahre später rekonstruiert Vilaseca das kurze Gespräch:

„Hören Sie mal, Kommandant, ich weiß nichts über Banken.“

Ich auch nicht, und dabei bin ich der Präsident, aber wenn die Revolution dich ruft...

„Schon gut. Wann fange ich an?“

Der Einzug Guevaras in die Bank als Ablösung für Pazos markiert das Ende der Krise um Huber Matos, die die Bewegung des 26. Juli entzweit hat. Außerdem ziehen sich viele Finanzfachleute zurück, die gemeinsam mit Pazos ihre Stellen angetreten hatten. Es kommt zu einem technischen Vakuum. Um es minimal zu füllen, nimmt Che zwei Assistenten aus der Industrieabteilung zu sich: Raúl Maldonado und Jaime Barrios aus der Gruppe der „Chilenen“.

In diesen Tagen beginnt Che eine fieberhafte Tätigkeit. Er spricht auf öffentlichen Veranstaltungen, schreibt

weiter an seinem Handbuch über den Guerillakrieg und an Erzählungen über die Etappe in den Bergen, lernt Mathematik, leitet die Bank, kümmert sich

um die Industrialisierungsabteilung, die Ausbildung der Armee und wirkt regelmäßig an den Tagen der freiwilligen Arbeit beim Bau von Schulen mit.

Er schreibt an seine Eltern: Kuba macht einen entscheidenden Moment für Amerika durch. Früher wäre ich gern Soldat von

Pizarro gewesen. Für meine Abenteuerlust und meine Begierde, geschichtliche Höhepunkte zu erleben, ist das nicht mehr notwendig. Heute ist das alles hier zu finden: Es gibt ein Ideal, für das es sich zu kämpfen lohnt, und die Verantwortung, ein Beispiel zu hinterlassen. Wir sind keine Menschen mehr, wir sind Arbeitsmaschinen, die unter schwierigen, aber klaren Bedingungen gegen die Zeit kämpfen.

Ches Freizeit wird weiter eingeschränkt. Seiner Leibwache zufolge läßt er an manchen Sonntagen seine Tochter Hilda holen, damit sie den Tag mit ihm verbringt. Er schläft nie länger als sechs Stunden und meistens weniger. Seine persönliche Ökonomie ist ziemlich prekär.

Er hat sich geweigert, die Gehälter für seine verschiedenen Ämter zu akkumulieren, und beschränkt sich auf den Bezug seines Kommandantensoldes von 440 Pesos, von denen er 100 Pesos an Hilda Gadea für die gemeinsame Tochter abgibt. 50 Pesos sind für Miete zu bezahlen, 50 Pesos dienen als Monatsrate, um den gebrauchten Wagen abzustottern, und der Rest geht für den Haushalt drauf. Tamayo faßt zusammen: „Er hatte nur deshalb eine gute Bibliothek, weil ihm die Bücher geschenkt wurden.“

Nach und nach versteht er die Bankmechanismen. Er versucht die Kapitalflucht zu kontrollieren und löst die Banken Batistas auf, gleichzeitig geht er daran, die

trüben Geschäfte rückgängig zu machen, die in der Vergangenheit getätigt worden sind [Unternehmen, die mit einem 16-Millionen-Kredit und einer Einlage von

nur 400.000 Pesos des Unternehmers aufgebaut wurden, die noch nicht einmal

aus der eigenen Tasche stammten, sondern aus dem zehnprozentigen Rabatt, den ihm die Lieferanten für den Kauf

von Maschinen bezahlten]. Gleichzeitig treibt er die Agrarreform voran. Als am

9. Dezember den Bauern die ersten Besitzurkunden ausgehändigt werden, erklärt er: Heute ist die Sterbeurkunde des Großgrundbesitzes unterschrieben worden.

Ich hätte nie geglaubt, daß ich meinen Namen mit soviel Stolz und Befriedigung unter den Totenschein eines Patienten setzen könnte, an dessen Behandlung ich mitgewirkt habe.

[...]

Von diesem zufällig zum Bankier gewordenen Guerillero werden viele Dinge erzählt. In jenen Tagen zirkuliert in

Havanna zum Beispiel ein kleines handgeschriebenes Plakat mit einem Slogan,

der Che zugeschrieben wird: „Hier kann man zwar ins Fettnäpfchen treten, aber man darf nichts herausholen.“ Che erklärt hoch empört, daß der Satz nicht von ihm stammen würde und daß man hier weder ins Fettnäpfchen treten noch aus ihm was rausholen kann, und dringt in einer öffentlichen Ansprache darauf, daß dies richtiggestellt werden müsse. Im Strudel der Ereignisse dürfte er das wohl vergessen

haben.

[...]

In den letzten Tagen des Jahres '59 ist es zu mehreren privaten Treffen in Cojimar gekommen, an denen Fidel, Che, Raúl, Emilio Aragonés und die kommunistischen Führer Anibal Escalante, Blas Roca, Carlos Rafael Rodriguez, César Escalante und Lázaro Peña teilnahmen. Zweifellos wurden bei diesen Versammlungen unter anderem die Möglichkeiten sowjetischer Hilfsmaßnahmen für den Fall untersucht, daß der US-amerikanische Wirtschaftsdruck zunehmen sollte. Fidel wollte jedoch nicht, daß die Gespräche mit den Russen ausschließlich über die kubanischen Kommunisten geführt wurden, und so reiste eine Gesandtschaft in die sozialistischen Staaten, um Handelsmöglichkeiten aufzubauen.

[...]

Im Februar 1960 findet dann der Besuch von Anastas Mikojan statt, einer der wichtigsten Figuren der sowjetischen Bürokratie und Mitglied des Politbüros der KPdSU.

Che ist anwesend, als Fidel und die anderen Regierungsmitglieder Mikojan empfangen, der seine erste Erklärung abgibt: „Wir stehen bereit, um Kuba zu unterstützen.“ Und Che wird im Verlauf der ganzen Rundreise auch bei privaten Gesprächen und auf öffentlichen Veranstaltungen dabeisein. Er ist übrigens der

erste, der beim Eintritt Mikojans in einen Konzertsaal applaudiert. Und er ist zweifellos einer der stärksten Befürworter der Annäherung an die Sowjetrussen innerhalb der kubanischen Regierung. Was bedeutet die UdSSR für Che? Ein paar Romane über den antifaschistischen Krieg und die Oktoberrevolution, die Erbin der sozialistischen Mythologie, die Heimat Lenins, die Wiege des marxistischen Humanismus, die Heimat des Egalitarismus, die Alternative zum wohlbekannten US- Imperialismus in einer bipolaren Welt. Weder die Moskauer Prozesse noch der polizeiliche Autoritarismus, noch die Verfolgung der Dissidenten, noch der bürokratische Anti-Egalitarismus, noch die schlecht geplante Wirtschaft, noch der Fassaden- und Pappmachékommunismus der Russen gehören zu Ches politischer Kultur im Jahre 1960.

Mikojan erfüllt seine Pflicht. Er legt Blumen am Marti-Denkmal nieder, läßt ein Pfeifkonzert von den katholischen Studenten über sich ergehen und unterzeichnet ein kleines Zuckerabkommen. Vor allem stellt seine Anwesenheit aber eine Warnung vor der Isolierung dar, die von den Vereinigten Staaten aus geschürt wird. Darüber hinaus wägt er die Möglichkeiten Kubas im großen geopolitischen Roulette des Kalten Krieges ab.

Einen Monat später erklärt Che in einer Fernsehsendung, als er auf die sowjetische Unterstützung und darauf zu sprechen kommt, daß die Russen diese angeblich nur gewähren, um die Vereinigten Staaten zu provozieren: Das mag vielleicht stimmen. Aber was interessiert uns das? Er gibt damit die Meinung eines Teils der kubanischen Revolutionsführung wieder.

[...]

Drei Tage später, am 4. März, als Che sich auf dem Weg zur Bank befindet, kommt es auf „La Coubre“, einem französischen Schiff, das mit 70 Tonnen belgischer Waffen beladen ist, zu einer Explosion. Che, der den gewaltigen Lärm gehört hat, eilt zu den Molen des Arsenals. Die fürchterliche Katastrophe hat 75 Tote und etwa 200 Verletzte gefordert. Er hilft bei den Bergungsarbeiten mit. Alle sind von Zweifeln erfüllt: Unfall oder Sabotage?

Der Fotograf Gilberto Ante von „Verde Olivo“ begegnet ihm, als er gerade Verletzte birgt. Che verbietet ihm wütend, Aufnahmen zu machen. Es kommt ihm schamlos vor, bei einem Unfall zum Gegenstand der Neugierde zu werden. Am nächsten Tag werden die Opfer beerdigt. Einen Häuserblock vom Friedhof Colón entfernt wird eine Tribüne errichtet, die von einer kubanischen Fahne mit Trauerflor umsäumt ist. Hier gibt Fidel zum ersten Mal die Parole „Patria o muerte“ [Vaterland oder Tod] aus. Der Fotograf von „Revolución“, Alberto Diaz, genannt Korda, nimmt mit seiner Leica mit 90-mm-Linse die Personen auf der Tribüne ins Visier und stößt beim zweiten Durchgang auf Che, der auf einer Seite nach vorn tritt. Die Geste des Argentiniers überrascht ihn, und er betätigt

den Auslöser zweimal. „Als ich ihn im Bildausschnitt der Kamera mit diesem Gesichtsausdruck sehe, fahre ich zusammen und drücke intuitiv den Auslöser.“ Alberto Granado erzählt Korda einige Zeit

später, daß Che an

diesem Tag ein Gesicht gemacht habe, als könne er einen Yankee lebendig verschlingen. Dies zeigt das Foto

allerdings nicht.

Auf dem Negativ erscheint auf der rechten Seite ein nicht identifizierter Mann und auf der linken die Blätter einer Palme. Korda beseitigt geschickt die Elemente, die ablenken, und konzentriert sich auf das Gesicht. Es ist ein sehr eigenartiges Bild: Che mit finsterem Gesichtsausdruck, die linke Augenbraue leicht hochgezogen, die Baskenmütze mit dem Stern, eine bis zum Hals geschlossene Jacke, im Wind wehende Haare. Einige Jahre später stößt der italienische Verleger Giacomo Feltrinelli bei Korda auf das Foto und macht ein Plakat davon. Zunächst sind es nur mehrere zehntausend Drucke, später gehen dann Millionen von Exemplaren um die Welt. Es ist die bekannteste Fotografie von Che, das Symbolfoto, das Wände, Titelseiten von Büchern und Zeitschriften, Decken, Plakate und T-Shirts bedecken wird. Es ist das Foto, das sich mit der Aufnahme, die die bolivianischen Militärs vom toten Che gemacht haben, ein symbolisches Duell liefert.

[...]

Auszug aus dem Kapitel 27 des Buchs von Paco Ignacio Taibo II: „Che. Die Biographie des Ernesto Guevara“, 740 Seiten, 68 DM. Das Buch erscheint demnächst. Wir bedanken uns bei der Edition Nautilus, Hamburg, für die Genehmigung zum Vorabdruck.

Lesen Sie auch in der taz am kommenden Dienstag Politisches Buch.