Wenn Pferde bei der Therapie helfen

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Christian reitet gern. „Aber nicht so normal, sondern so wie im Zirkus. Wir liegen auch mal auf dem Pferd und so. Das ist viel besser.“Anfangs waren ihm Pferde nicht ganz geheuer. „Ich bin früher mal von einem Pferd getreten worden. Da hatte ich dann doch –n bißchen Angst.“

Fünf Wochen dauerte es, bis er sich auf ein Pferd wagte. Heute, nach einem dreiviertel Jahr, sitzt der Zwölfjährige freihändig auf der galoppierenden Lona, einer Kaltblut-Mischlingsstute. Christian hat Teilleistungsstörungen und ist hyperaktiv. Er ist Stammkunde bei Ergotherapeuten, Logopäden – und Pferden. „Pferde sind ein hervorragendes therapeutisches Hilfsmittel“, befindet Gudrun Smolinski vom Institut für Wahrnehmungstherapie und Intervision. Sie bietet mit drei weiteren Kollegen auf dem Gelände des Reitclubs Walle und auf dem Schimmelhof therapeutisches Voltigieren an.

„Mit zwölf habe ich Reiten gelernt. Während meiner Ausbildung zur Erzieherin habe ich so oft von Sensorik und solchen Dingen gehört, daß ich mir dachte, daß Hobby und Beruf doch irgendwie zusammenpassen könnten“, erzählt die 31jährige. Anfassen, Ertasten und Fühlen hat eine Menge mit Pferden zu tun. Wälzt sich sich Voltigier-pferd Fanta zum Beispiel im Schlamm und saut sich von oben bis unten ein, muß sie geputzt und gewienert werden. Und das Putzen kann schon therapeutischen Charakter haben.

Menschen, die ihre Arme nicht über ihre Körpermitte kreuzen, also nicht übereinandergreifen können, wird schon beim Putzen eines Pferdes geholfen. Das weitausholende Striegeln eines Pferdehalses trainiert nämlich das Zusammenspiel der Gehirnhälften. Spielen diese nämlich nicht zusammen, kann es zu unkontrollierten Bewegungen, Wahrnehmungs- und Lernschwierigkeiten kommen.

Auch das Gelände des Reitclubs Walle bietet sich zum Gleichgewichts-und Wahrnehmungstraining an. „Hier gibt es keine Halle. Es wird immer draußen geritten. Und da muß man manchmal schon über Stock und Stein stiefeln, um zu den Pferden zu kommen. Das härtet ab“, meint Gudrun Smolinski.

Nicht nur körperlich, sondern auch geistig Behinderte reiten in den Gruppen der 31jährigen. „Da geht es erstmal darum, Vertrauen zum Pferd zu entwickeln, Blockaden und Ängste abzubauen. Wenn das schon ein wenig geschafft ist, verbessern sich oft auch viele andere Dinge wie das Gleichgewichthalten zum Beispiel.“Die Kinder und Erwachsenen üben allein oder in Gruppen. Die Gruppentherapie bietet sich besonders bei verhaltensgestörten oder aggressiven Kindern an. „Hier lernen sie, daß sie aufeinander angewiesen sind, egal was einer kann oder nicht kann. Alle sitzen im selben Boot. Und die Pferde gehen absolut unvoreingenommen an die Sache heran. Wenn ihnen etwas nicht paßt, drücken sie das schon aus. Dabei ist es ihnen egal, ob einer eine krumme Nase hat oder nicht sprechen kann“, erklärt Gudrun Smolinski. „Christian ist furchtbar hippelig. Daran hat sich noch nicht so wahnsinnig viel geändert, aber hier muß er lernen, sich unterzuordnen. Außerdem hat er hier Spaß daran. Sämtliche andere Therapien, die er außerdem noch besucht, sind sehr anstrengend für ihn. Hier kann er sich austoben“, erzählt Christians Mutter Mareike Riek.

Getobt wird mit Gymnastikreifen oder Gummibällen. Wer freihändig auf einem galoppierenden Pferd sitzen und einen zugeworfenen Ball fangen kann, der hat schon eine Menge erreicht. Der elfjährige Mirko liegt lieber mit dem Oberkörper auf dem Rücken von Voltigierpferd Fanta. Die Stute geht gleichmäßig im Schritt. Für Mirko schon eine Herausforderung, hier das Gleichgewicht zu halten. Wenn er das etwas besser in den Griff bekommen kann, so hofft Gudrun Smolinski, werden sich auch seine Lern- und Verarbeitungsstörungen geben.

Doch ein Allheilmittel kann das therapeutische Voltigieren nicht sein. „Wir denken, daß es viele Therapien unterstützen kann. Vollständig kurieren kann man damit weniger.“

Anja Philipp-Kindler

Infos: Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. Bundesgeschäftsstelle Freiherr-von-Langen-Str. 13 - 48231 Warendorf - Tel.: 02581/ 63620 (erteilt auch Infos zum Thema Hippo-Therapie, der Krankengymnastik zu Pferde)

Institut für Wahrnehmungstherapie und Intervision Waller Heerstr. 190 - 28219 Bremen Tel.: 0421/ 3966898 – Reitclub Walle e.V. Mittelwischweg, 28217 Bremen - Tel.: 0421/ 381256