Wand und Boden: Und stiert ins Leere
■ Kunst in Berlin jetzt: Fairhurst, Ulrichs, French Collection
Der nackte Mann auf dem Foto sieht aus wie Gerard Depardieu nach einer durchzechten Nacht. Doch das Selbstporträt von Angus Fairhurst ist kein französelnder Filmstill, sondern eine Variante der new british art: Verwuschelt sitzt der Londoner Maler und Bildhauer auf einem Pappkarton und stiert ins Leere, in der linken Hand die Zigarette, rechts ein Becher Tee.
„Stand still and rot“, der Titel kommt Fairhursts Programm für die Galerie Contemporary Fine Arts schon recht nahe: Schimmelnde Tassen, über Tische wucherndes Efeu, und Tuschen, auf denen Bikinigirls mit Geweihen am Kopf in bayerischen Wäldern posen, die in grell leuchtenden Grundfarben angestrichen sind. Auf einer anderen Serie werden Männer gezeigt, denen nur der Unterleib geblieben ist, während sie sich am Tresen mit aufgepfropften Geweihen zuprosten. Der verwilderte Mensch als surrealistisches Endzeitkonstrukt, nicht ganz so fleischlich wie bei Francis Bacon.
Angus Fairhurst sieht es viel gelassener. Ihm geht es um eine Stimmung, die er als „natural“ bezeichnet, wobei die Naturerfahrung zugleich warm und unnahbar erscheint. Anders als im kontrollierten englischen Gartenbau bleiben seine Bilder und Skulpturen unberechenbar und angenehm sinnlich. Für „Mnemonic Table“ verdeckt der Efeu allmählich den Holztisch und macht ihn dadurch zum Sockel. Das Gegenteil ist für Fairhurst aber auch wahr: Die Pflanze verwandelt den Tisch erst in eine grün überzogene Skulptur.
Bis 31. 10., Mo-–Sa. 10–18 Uhr, Sophienstraße 21
Es muß an Hannover liegen: Teresa Orlowski hat hier ihr Porno-Imperium aufgebaut, und auch der Konzept-Künstler Timm Ulrichs beschäftigt sich mit so obszönen Dingen wie dem „detektorischen Blick“. Das Video „Schuß und Gegenschuß“ zeigt seinen Spaziergang vom Atelier zum Sprengel-Museum. Während Ulrichs den Weg filmt, wird auf einer zweiten Projektion im NGBK dokumentiert, wie er selbst von Videoüberwachungsanlagen beobachtet wird.
Laut Lexikon verbergen sich hinter dem Begriff Detektor bloß Wünschelruten und Hochfrequenzgleichrichter. Vermutlich muß man sich Ulrichs als Person ähnlich vorstellen, irgendwo zwischen Trüffelschwein und Wahrnehmungstechniker. Eine Fotoserie etwa untersucht das Verhältnis Promis, Krieg und Paparazzi – von der Brokdorf- Demo bis zum Schnappschuß von Lady Di ist die Gewalt vor der Kamera an den Augenblick des Auslösens gebunden. Erst die Aufnahme macht eine Situation zum Ernstfall.
Dann wieder driftet Ulrichs in experimentellen Klamauk ab, versteckt Videokameras in Schuhen oder läßt sich für „Checked Baggage“ als Röntgenbild ablichten, den eigenen Fotoapparat immer noch in der Hand. Aktionen wie das tätowierte Augenlid wirken überzogen, die Liste mit „End“-Abspannen erinnert an MTV. Ulrichs' Idee stammt zwar von 1970, andererseits weiß auch er: „Wenn die Potenz mal geschwunden ist, nutzt es mir auch nichts mehr, wenn mit späten Ehren die Groupies kommen.“
Bis 12. 10., tgl. 12–18.30 Uhr, Oranienstr. 26
Neben der Kunstsammlung von Languedoc-Roussillon sehen die Berliner Neuankäufe erbärmlich aus: Allein in den letzten vier Jahren hat die südfranzösische Region 15 umfangreiche Arbeiten oder Werkgruppen von internationalen Künstlern wie Chris Burden, Bertrand Lavier oder Jean-Marc Bustamente erworben. Peter Kogler und Franz West konnten 1994 eine „Wiener Küche“ als psychoanalytische Chill-out-Zone mit buntem Sofa einrichten, Angela Bulloch durfte ein interaktives Café mit Kraftwerk beschallen. Selbst von dem 1993 verstorbenen Ultra-Minimalisten Absalon besitzt das Haus eine seiner blendend weißen Zellen.
Der gemeinsame Ansatz der Ausstellungsstücke, die im Studio I und II des Künstlerhaus Bethanien gezeigt werden, liegt im Umgang mit Urbanität. Man sieht daran, wie stark die Postmoderne-Diskussion unter Architekten sich gerade auf die bildende Kunst ausgewirkt hat. Pascal Converts Wandzeichnungen rekonstruieren die Treppenrampe einer gewissen Villa Belle Rose auf den Klippen von Biarritz, die vor 15 Jahren zerstört wurde. Die Ornamentspuren wurden auf Blaupapier gepaust und später in Computerdateien abgespeichert. Jetzt läßt sich die virtualisierte Erinnerung an die prächtig dekorierte Villa als Muster auf jeden Raum übertragen. Winzig sind dagegen die Architekturen von Hubert Duprat. Er entwirft Häuser für Larven: Die Kokons sind 2 cm groß, dafür aber aus Perlen, Lapislazuli und purem Gold geflochten.
Bis 2. 11. Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2 Harald Fricke
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