Mehr Mensch oder Pferd?

■ Reiten interessiert Helmut Börger nicht, er kutschiert nur edle Vierbeiner mit bandagierten Beinen von Turnier zu Turnier. Im LKW plaudern die Pferdehelfer der Stars

Am Wochenende gab es einen Besucher der German Classics, der sich überhaupt nicht für Springen und Ergebnisse interessierte. „Ich will nur wissen, ob ich nachher Stau auf der A1 hab“, war von ihm zu hören. Manchmal weiß er zwar selber nicht, „ob er mehr Mensch oder Pferd ist“, aber von Turnierentscheidungen bekommt er nur selten etwas mit. Er, das ist der 40jährige Helmut Börger.

Er fährt Galopper, Spring- und Dressurpferde von Rennen zu Rennen oder Turnier zu Turnier. „Ich bin Freitag von Gütersloh nach Soest gefahren, um ein Dressur-pferd für die Classics zu holen. Von der Stadthalle aus bin ich zur Rennbahn in die Vahr und hab' da drei Rennpferde abgeholt und nach Warendorf gefahren. Danach ging es nach Hause nach Gütersloh“, erzählt Börger. Und wie ein Wasserfall sprudelt er weiter: „Am Samstag war ich dann in Vechta auf der Auktion, da muß man immer präsent sein und eventuell Aufträge abgreifen. Von da aus bin ich zur Rennbahn nach Bremen und hab Pferde geholt und nach Hannover zum Rennen gefahren. Die habe ich heute auch wieder abgeholt und nach Hause in die Vahr gebracht. Jetzt bin ich hier und warte auf die Pferde von Luciana Diniz. Die bringe ich heute abend noch nach Hamburg.“Daß er von dort aus mit seinem Transporter gleich wieder weiter nach Dänemark düst, versteht sich.

Zu den Kunden seines Arbeitgebers gehören alle bekannten Dressur- und Springreiter von Nicole Uphoff-Becker bis hin zu Ludger Beerbaum. Außerdem ist das Unternehmen aus Gütersloh der Hausspediteur aller Bremer Galopprenntrainer. Ständig Pferde im Wert von mehreren Hunderttausend oder Millionen Mark auf dem Wagen zu haben, macht den gelernten Heizungsbauer, der nur als kleiner Junge mal auf einem Pferd gesessen hat, nicht mehr nervös. „Die haben die Beine wie Mumien eingepackt. Da passiert nichts, wenn einer auf dem Hänger verrückt spielt. Und einen Unfall hatte ich Gott sei Dank noch nicht.“

Von den German Classics hat Börger so gut wie nichts mitbekommen. „Das interessiert mich auch nicht. Das sieht doch sowieso immer gleich aus. Wenn ich mal Zeit habe, seh' ich mir an, wie unser Kunde reitet. Nur als ich 1992 mit der russischen Dressurmannschaft bei der Olympiade in Barcelona war, habe ich mir viel angesehen. Das war schon was“, schwärmt er.

Die German Classics sind für ihn ein „gut organisiertes Turnier“. Eines von vielen, nichts Besonderes, nur daß seine Kunden hier ein paar Mark mehr verdienen können als anderswo. Doch plötzlich bekommt er verklärte Augen. „Da, die Prinzessin“, raunt der Zweimetermann fast tonlos. Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Haya Bint Al-Hussein von Jordanien kommt auf dem von ihr geleasten Schimmelhengst Come on vorbeigeritten. Börger winkt ihr zu, sie grüßt zurück. „Das ist –ne Nette“, flüstert er, „die kann zwar auch LKW fahren, aber mit dem Reiten klappt es bei ihr noch nicht so gut.“

Was bei wem klappt, wie bei welchem Pferd mit Mittelchen nachgeholfen wird, all das könnte Börger erzählen, schließlich fahren die Pferdepfleger seiner Kunden mit ihm im LKW – und plaudern eine Menge aus. Nur er sagt nichts, denn „dann wären ja die Kunden weg.“

Diskretion ist selbstverständlich. Doch zum Fall Hugo Simon hat er eine Meinung. Dessen Pferdepfleger war in Mannheim auf der Europameisterschaft mit einer Spritze in der Pferdebox erwischt worden. „Dumm gelaufen“, meint Börger. „Wer sich erwischen läßt, ist selbst schuld. Doch der wird sich da schon wieder irgendwie 'rausmuddeln. Die werden ihm schon nicht an den Karren pinkeln.“

Die, das ist die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI), die den Fall des Österreichers, der die German Classics 1994 gewonnen hatte, prüft. „Ich sach' nix“, brüllte Simon jedem entgegen, der ihn in der Stadthalle auf das Thema Doping ansprach. Und auch Classics-Chef Paul Schockemöhle wollte davon nichts auf seinem Turnier hören: „Das ist ein schwebendes Verfahren, dazu sage ich nichts.“

Gesprächiger war der Mühlener Pferdehändler zum Thema Michail Gorbatschow: „Ich bin zwar eingefleischter Kapitalist, aber ich bin stolz, ihn hierhaben zu dürfen.“Gorbi schaute kurz in der Stadthalle vorbei, um dem Sieger Willi Melliger den Lorbeerkranz umzuhängen. Außerdem bekam der ehemalige russische Staatspräsident einen Scheck für seine Stiftung überreicht.

Doch während in der ausverkauften Stadthalle alle Augen auf Gorbatschow gerichtet sind, wartet Pferdespediteur Helmut Börger ungeduldig in der Messehalle 5. Die niegelnagelneue Halle ist für die German Classics als Pferdestall umfunktioniert worden. Börger sorgt sich um seinen Zeitplan. „Die sollen da in der Halle nicht so lange mit dem Gorbatschow –rumtüdeln. Ich will aufladen. Ich muß wieder los.“ Anja Philipp-Kindler

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