Promillegrenze soll bald sinken

Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) lenkt ein. Er will Promillegrenze auf 0,5 senken. Über 1.000 Verkehrstote im Jahr 1996 durch Alkohol am Steuer  ■ Aus Berlin Nicol Ljubic

Der Bundesverkehrsminister hält den Vorschlag für „erwägenswert“. Für ihn ist die Promillegrenze „keine ideologische Frage“ mehr und er könne sich die „Konsenslösung“ vorstellen. Fast euphorisch reagierte Matthias Wissmann auf einen Vorschlag zur Senkung der Promillegrenze, den Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) bereits im Juli machte. Demnach kassiert ein Fahrer mit 0,5 Promille zwei Punkte in Flensburg und die Polizei ein Bußgeld bis zu 200 Mark. Aber erst 0,8 Promille bedeuten Fahrverbot und vier Punkte im Sünderregister. Bislang hatte Wissmann eine Senkung der Promillegrenze abgelehnt und lediglich mehr Verkehrskontrollen gefordert.

Jetzt verweist der Minister auf die „erschreckende“ Bilanz alkoholbedingter Unfälle. Das dürfe man bei einer Neuregelung des Gesetzes nicht außer acht lassen, sagte er. Im letzten Jahr wurden rund 1.500 Menschen bei Unfällen getötet, bei denen Alkohol im Spiel war. Ähnlich hohe Zahlen gab es auch in den Jahren davor. Daß der Verkehrsminister sich aber erst jetzt für die 0,5-Promille- Grenze ausspricht, hat einen ganz anderen Grund: Er hat Ärger mit der Europäischen Union (EU).

Der britische EU-Kommissar Neil Kinnock warnte kürzlich vor einer Vertragsverletzung. Die Regierung verzögert die Einführung der neuen EU-Führerscheine im Scheckkartenformat. Eine entsprechende Änderung des Straßenverkehrsgesetzes hatte die Koalition Anfang Juni von der Tagesordnung des Bundestags gestrichen. Denn die SPD hatte die Senkung der Promillegrenze zum Bestandteil der Gesetzesänderung gemacht. Den neuen EU-Führerschein gibt es nur, wenn gleichzeitig über die Senkung der Promillegrenze abgestimmt wird.

Zwar ist Helmut Kohl ein standhafter Gegner der 0,5 Promille, aber viele Abgeordnete der Koalition sehen das anders. Und so ist die Regierung in einer Zwickmühle. Käme es zu einer Abstimmung, könnte der Kanzler auf die Nase fallen. Kommt es nicht zur Abstimmung, droht der Europäische Gerichtshof mit einer möglichen Strafe von über einer halben Milliarde Mark.

Becksteins Kompromiß ist die einzige Möglichkeit, um aus der Klemme herauszukommen. SPD und Befürworter in der Koalition bekämen eine Promillesenkung, Kohl und Wissmann bräuchten die 0,8-Grenze nicht ganz aufzugeben, und der Bundestag könnte den Tagesordnungspunkt EU-Führerschein endlich abschließen. Eine Entscheidung soll nun am Mittwoch im Verkehrsausschuß fallen.