■ Israel: Der gescheiterte Mossad-Anschlag nutzt nur der Hamas
: Waisenknabe und Vater

„Der Erfolg hat viele Väter, der Mißerfolg ist eine Waise.“ Dieser hebräische Ausspruch wird heutzutage in Israel mit großer Schadenfreude zitiert. Ein Waisenknabe ist auf hebräisch „Jatom“ – Jatom ist aber auch der Name des Direktors des Mossad, Israels Geheimdienst für das Ausland. (Mossad heißt Institut, der volle Name ist „Das Institut für Nachrichten und besondere Aufgaben“.)

Der Direktor des Mossad untersteht unmittelbar dem Ministerpräsidenten. Eine Operation wie der Mordanschlag in Amman, dem Hamas-Führer zum Opfer fallen sollte, kann nicht ohne eine klare Weisung Netanjahus unternommen werden. Sie hat also einen Vater, und ganz Israel weiß, wer es ist.

Ein anderer hebräischer Ausspruch sagt: „Was ist der Unterschied zwischen einem klugen und einem schlauen Menschen? Ein schlauer zieht sich aus einer Falle, in die ein kluger nie hineingegangen wäre.“ Demnach ist Netanyahu nicht klug, aber doch schlau.

Ein kluger Regierungschef hätte nie einen derartigen Anschlag angeordnet. Erstens, weil ein Staat keine Terrorganisation ist und bessere Mittel gegen Terrorismus haben sollte. Zweitens, weil ein Terroranschlag auf jordanischem Boden ein Dolchstoß in den Rücken König Husseins ist. Und Hussein ist der einzige Freund, den Netanjahu in der arabischen Welt noch hat.

Die Mehrheit der Bürger Jordaniens sind Palästinenser, die islamische Opposition wird dem König ohnehin gefährlich, der König ist bei vielen seiner Untertanen als Kollaborateur Israels verpönt. Der Anschlag hätte ihn leicht zu einem israelischen Quisling stempeln können.

Drittens, das vorgesehene Opfer war in seiner Organisation keine zentrale Figur. Wäre das Attentat gelungen, so hätte der Anschlag dem Terror kein Ende gesetzt, sondern eher die Motivation, neue Anschläge in Israel und auch im Ausland zu verüben, verstärkt. Und viertens: Wenn man die Pässe eines befreundeten Staates, wie Kanada es ist, für Mordaktionen benutzt, kann man seine Freunde leicht verärgern.

Natürlich zieht ein kluger Mensch auch einen Mißerfolg in Rechnung. Wie sich herausgestellt hat, war die Ausführung so stümperhaft, daß es direkt peinlich ist. Das große Prestige des Mossad (deren Berechtigung immer etwas schleierhaft war) ist nun außerordentlich beschädigt.

Aber Netanjahu ist schlau und seine Reaktion war schnell. Der Gründer der Hamas-Bewegung, der greise Scheich Achmed Jassin, wurde per Expreß nach Jordanien expediert, um König Hussein für die Bredouille zu entschädigen, in die Netanjahu ihn brachte. Nebenbei wurde damit Jassir Arafat, der seit Jahren die Freilassung des invaliden Scheichs gefordert hat, ein weiterer Fußtritt versetzt. Die Krise wurde damit etwas entschärft. Aber der Preis ist hoch.

Weder Israel noch der König noch Arafat haben von dieser Affäre profitert. Der einzig Sieger ist Hamas. Die fundamentalistische Organisation, die die Existenz Israels prinzipiell ablehnt, reitet jetzt auf einer Welle der Bewunderung. Die Hamas-Bewegung, die übrigens vor Jahren von Israel unterstützt wurde, um mit der PLO zu konkurrieren, ist jetzt von Netanjahu in den Mittelpunkt der Weltaufmerksamkeit gerückt worden.

Das ist etwas komisch. Seit Monaten fordert Netanjahu, daß Arafat die „Infrastruktur des Terrors“ vernichtet. Das heißt, in der Praxis, die Moscheen, Schulen, Kindergärten und sozialen Einrichtungen der Hamas, die mit saudischen Geldern finanziert werden, zu schließen und massenhaft Hamas-Sympathisanten zu verhaften. Diese Forderungen werden von den USA massiv unterstützt (was keinen daran hindert, Arafat als orientalischen Tyrannen zu verdammen, der Menschen ohne Beweise und Gerichtsverfahren ins Gefängnis steckt). Jetzt hat Netanjahu den Nr.-1-Terroristen nicht nur freigelassen, sondern auch zu einem Siegeszug ohnegleichen verholfen.

Die Bürger Israels sollten sich fragen, wie sie weiterhin nachts ruhig schlafen können, während dieser Mann seinen Finger am Atomknopf hat. Uri Avnery

Der Autor lebt als freier Publizist in Tel Aviv