■ Die Nichtraucherbewegung steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Doch auch hier deutet sich ein kultureller Wandel an
: Von den USA lernen

„Raucher sind tolerant – oder hat sich schon mal ein Raucher über einen Nichtraucher beschwert?“ So oder so ähnlich enden die Diskussionen, wenn es um die Verbesserung des Nichtraucherschutzes in der Bundesrepublik geht. Die Emanzipationsbewegung der Nichtrauchenden steckt noch in den Kinderschuhen, noch kann man sich darüber belustigen.

Ungehemmt werden wir täglich mit Zigarettenwerbung im Stadtbild überschüttet, überall lächelnde Menschen, die die extrem giftige Ware als Mittel für Wohlstand und Erfolg anpreisen. Ungestraft dürfen zwölfjährige Kinder mit dem Spruch „Ich rauche noch nicht“ plakatiert werden. Jeder Kinobesuch ist mit einer Zigaretten- Zwangsberieselung verbunden. Normale Gaststätten sind für rauchempfindliche Personen, für Allergiker und Asthmatiker No- go-areas.

Aber in den letzten Jahren deutet sich ein stiller kultureller Wandel an. Rauchende gelten zunehmend als rücksichtslos, nicht gesundheitsbewußt und unmodern. Plötzlich fällt auf, daß sie nur eine kleine radikale Minderheit von 25 Prozent sind, die die Mehrheit mit ihren unangenehmen Rauchfahnen belästigen. Die Auseinandersetzungen im Alltag und vor Gerichten nehmen zu. Manchmal werden rauchfreie Arbeitsplätze durchgesetzt – oft wird dieser Wunsch abgelehnt.

Die Erkenntnis, daß die Raucher nicht nur sich selbst schädigen – der Tabakkonsum ist zur häufigsten Todesursache bei Erwachsenen in den Industrieländern geworden –, sondern auch eine gesundheitliche Bedrohung für ihre Mitmenschen sind, hat sich noch nicht überall herumgesprochen – obwohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse eindeutig sind. Nur etwa 20 Prozent der giftigen und krebserregenden Verbrennungsfahne einer Zigarette wird von ihnen selbst eingeatmet, die restlichen 80 Prozent werden ungefiltert in die Raumluft abgegeben.

Gerade die Ökologiebewegung und die Grünen, die gegenüber der Industrie die Elimination des letzten Nanogramms an Schadstoffen durchsetzen will und immer strengere Grenzwerte fordert, müssen auch die manchmal bis zu tausendfach höheren Belastungen in verrauchten Innenräumen zum Thema machen. Dies ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Denn fest steht: Passivrauchen führt zu deutlich erhöhten Krankheitsraten bei Kindern und zu schweren gesundheitlichen Folgeproblemen bei Erwachsenen.

Aber ein wirksames Nichtraucherschutzgesetz wird sich im Bundestag in dieser Legislaturperiode kaum durchsetzen lassen. Die Nichtraucherschutzbewegung hat in Deutschland eben noch lange nicht die Durchschlagkraft wie in den USA. Während in den USA im zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf der Wahlsieger Clinton eindeutig den Nichtraucherschutz unterstützte und damit in allen Umfragen Punkte machen konnte, hatte sein Widersacher die Notwendigkeit des aktiven Nichtraucherschutzes bestritten und damit an Zustimmung verloren.

Selbst der neue europäische Superstar Tony Blair, der alle wählerwirksamen Aktionen wie ein Schwamm aufgesogen hat, will einen verbesserten Nichtraucherschutz in England. Als eine der ersten Maßnahmen nach dem grandiosen Wahlsieg wurden Vorhaben eingeleitet, die zu einer drastischen Reduzierung der Zigarettenwerbung in England führen werden. Diesen Quantensprung von der schleichenden kulturellen Gegenbewegung auf die politische Bühne hat die Nichtraucherschutzbewegung in Deutschland noch nicht geschafft. Ziel muß ein Nichtraucherschutzgesetz sein, das eine Gleichstellung von Nichtrauchenden und Rauchenden anvisiert. Die Nichtraucher brauchen ein gesetzlich geschütztes Recht auf eine giftfreie Umgebung, um so von dem elenden Zustand devoter Bittsteller: „Ach bitte könnten Sie nicht die Zigarette ausmachen, mir geht es heute noch so gut...“ befreit zu werden.

Um gesundheitliche Situation für Kinder mit rauchenden Eltern zu verbessern – immerhin 50 Prozent aller Kinder in Deutschland leben in Raucherhaushalten – brauchen wir eine Beratungspflicht in solchen Fällen, in denen eine ärztliche Diagnose einer kindlichen Gesundheitsschädigung durch Passivrauchbelastung vorliegt. Obwohl es erstaunlich klingt – viele rauchende Eltern sind sich nicht darüber im klaren, was sie ihren Kindern durch langjährige Passivrauchbelastung in der Wohnung antun. Als Abrundung des Nichtraucherschutzkonzeptes muß die Tabakwerbung im öffentlichen Straßenraum zurückgedrängt und die Möglichkeiten von Gegenaufklärung geschaffen. Der Zugang zu Tabakprodukten über Automaten wird zurückgenommen.

Die Emanzipationsbewegung der Nichtrauchenden ist im Kern eine kulturelle Gegenbewegung gegen die Dominanz der Rauchenden. Solche kulturellen Umbrüche, die in das alltägliche Leben der Bürger eingreifen, können nicht allein durch Gesetze und Verordnungen umgesetzt werden. Am deutlichsten kann man dies in den USA erkennen. Erst als es nicht mehr schick war, zu rauchen, „the rich and beautiful“ der Zigarette abgeschworen hatten und das Rauchen ein Merkmal der „underdogs“ wurde, verloren die Tabakkonzerne einen Gerichtsprozeß nach dem anderen.

Heute müssen sie vor Gerichten zugeben, daß sie schon zu einer Zeit, in der sie noch offiziell jegliche Gesundheitsgefahren des Tabakrauchens bestritten, über gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse der krebserregenden Gefahren verfügten. Nun werden Dokumente offengelegt, die nachweisen, daß die Tabakindustrie gezielt nach Suchtstoffen beim Tabak geforscht hat, um die Abhängigkeit der Rauchenden zu verstärken. Freiwillig bieten die Tabakmonopole jetzt Schadenersatzzahlungen in Höhe von über 500 Milliarden Mark an, um weiteren Massenklagen zu entgehen. Selbst der ehemalige Tabakpflanzer und heutige Vizepräsident der USA, Al Gore, feiert die Siege der Nichtraucherbewegung.

Die Nichtraucherschutzbewegung in Deutschland ist von solchen Zuständen noch sehr weit entfernt. Trotzdem fragen mich manchmal meine verunsicherten rauchenden Freunde, die früher die selbstgedrehte Zigarette aus Schwarzem Krausem als Erkennungsmerkmal der revolutionären Gesinnung ansahen und die Raucherecken in den Schulen mit durchgesetzt haben, ob jetzt Amerika nach dem Sieg über den Kommunismus einen neuen Hauptfeind gefunden hat. Wenn die Ideen die Massen ergreifen... Bernd Köppl