Schau hin, Europa

■ In London wurde die szenische Lesung eines Theaterstücks von Ghazi Rabihavi zum Fall Faradsch Sarkuhi uraufgeführt

Auf hölzernen Bänken sitzen die Schauspieler mit ihren Skripten in der Hand im Halbkreis um den Bühnenraum, unter ihnen, ganz in Schwarz, Harold Pinter, der Organisator der nur einmal im Londoner Almeida Theatre zur Aufführung gelangenden Sonderproduktion, die auf Anregung von Pinter durch die Zeitschrift Index on censorship organisiert worden war. Außer ein paar Tischen und Stühlen sowie Telefon, Kamera und Tonbandgerät weist die Bühne keine Dekorationen auf. Gegenstand des Stückes „Look Europe“ von dem exilierten Iraner Ghazi Rabihavi ist das rätselhafte Verschwinden und Wiederauftauchen eines iranischen Journalisten. Man soll und muß an Faradsch Sarkuhi denken, dessen Fall in Großbritannien mit sehr viel weniger Aufmerksamkeit verfolgt wurde als in Deutschland. Laut Titel hätte es auch um das Verhältnis europäischer Politik und Öffentlichkeit zu den Menschenrechtsverletzungen im Iran gehen müssen. Aber bis auf einige Bemerkungen über die europäische Mißachtung der iranischen Kultur bei gleichzeitiger Hochschätzung der Ökonomie blieb das Thema ausgespart.

Mit Gefühlen und Gesten wird ebenfalls gegeizt. Der Darsteller des Redakteurs darf vor Erschöpfung und Angst einmal zittern, wenn ihm der Gefängniswärter Feuer gibt. Aber sonst ist alles dem Wort überlassen – eine szenische Lesung eben, die dem Text allerhand aufbürdet.

Dabei ging es nicht nur um die Anklage eines die Menschenrechte mißachtenden Regimes, sondern auch um eine Öffentlichkeit, in der politische Fälle wie dieser zuallererst Nachrichten sind. So läßt Rabihavi den „Redakteur“ sagen, er wolle nicht nach Europa fliehen, um dort einer der vielen ungeliebten politischen Flüchtlinge zu sein, die nach dem Herumgereichtwerden am Ende vergessen um Almosen anstehen.

Ghazi Rabihavi hat sich in der Dramatisierung der Vorgänge keinerlei künstlerische Freiheiten erlaubt, sondern an das gehalten, was durch den aus dem Iran herausgeschmuggelten Brief Sarkuhis bekannt war. Das geschah möglicherweise auch aus Vorsicht, weil gewissermaßen alles gegen Sarkuhi verwandt werden kann. Aber es lag darin auch die entscheidende Schwäche des Abends. Am Ende der Veranstaltung wies Ursula Owen, die Chefredakteurin von Index, darauf hin, daß die Figur des Redakteurs nicht nur Sarkuhi meint, sondern jeden Redakteur und Schriftsteller, der Zensur und Verfolgung ausgesetzt ist. Aber genau diesen Momenten, die das Drama von Zensur und Verfolgung hätten allgemeingültig machen können, wurde wenig Raum gegeben. Statt dessen führten die präzisen Datierungen und Ortsangaben der Szenen immer wieder auf den Fall Sarkuhi zurück und damit leider auch zu einer Verarmung der dramatischen Möglichkeiten. Angelegt waren sie im Text durchaus. Beispielsweise hätte das Zittern und Zagen des Redakteurs, der einem jungen Schriftsteller seinen Text mit Rotstift angezeichnet zurückgibt, weil es politisch nicht tragbar ist, die Chance zu einer solchen Dramatisierung gegeben. Oder auch die Angst von Redakteur und Journalistin vor ihrer Freundschaft, weil sie feindselig von außen definiert und zum Verbrechen gestempelt werden kann. Die notwenige Vagheit des Autors im Faktischen hätte nur durch eine theatralische Inszenierung Fleisch auf die Knochen gekriegt. Und daß Harold Pinter als Tramp ein bißchen zu tief in die Klamottenkiste griff und, ebenso wie die Darsteller der Bullen und Spitzel von Teheran, den trocken- rüden Ostlondoner Akzent ein bißchen zu dick auftrug, war wohl auch eine Art Eingeständnis. Das ansonsten stumm-geduldige Publikum reagierte mit dankbarem Lachen.

Eine szenische Lesung war zuwenig und zuviel zugleich: nicht Drama, nicht Aufklärung, nicht Gefühl. Insofern hat es an diesem Abend im Londoner Almeida leider nicht einmal zur Politik gereicht. Uta Ruge