Ungewöhnliche Informationen für Raser

Der Dresdener Künstler Henrik Schrat versucht mit Autobahntafeln die Alltagspoesie von Sinnsprüchlein und Schlagworten abzubilden. Jetzt werden seine Entwürfe in Potsdam gezeigt. Es entstehen keine Irritationen, bestätigen Verkehrswissenschaftler  ■ Von Susanne Altmann

„Arbeit ist des Ruhmes Mutter“. Den verheißungsvollen Spruch ließ Henrik Schrat 1995 in Kunstharz gießen und auf der Ausstellung „All work no play“ im Dresdener Festspielhaus Hellerau als Schlüsselanhänger verteilen. Der 1968 geborene Künstler ist von Sprich- und Schlagworten fasziniert, deren Alltagspoesie nun im „A 9 Projekt“ endgültig kulminiert. Ein schönes Beispiel der Triviallyrik grüßte schon zu DDR- Zeiten als Leuchtschrift auf der Transitstrecke, der A 9 eben, zwischen München und Berlin: „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Dieses Kulturgut von höchster interpretatorischer Ambivalenz legte für Schrat das künstlerische Potential der sonst monotonen Schnellstraße bloß. Nun soll, nach langer Vorbereitung, im Jahr 1999 eine Kette von paarweisen Schautafeln die A 9 säumen. Für zirka vier Wochen wird einem „guten deutschen“ Sprichwort jeweils eine Schlagzeile aus der Tagespresse beigegeben.

Am Anfang das Sprichwort. Das untermauert schon eine Kollektion von über 12.000 derartigen Weisheiten des 19. Jahrhunderts, quasi das Brevier Schrats. Doch wird die gleichzeitige Einfalt und Tiefe des Sprichworts auch von der Schlagzeile erreicht. Atemlos und vermeintlich aktuell weist sie auf ihre eigene Wichtigkeit hin, während der Sinnspruch, wie binsenschlau auch immer, etabliertes Gemeingut ist.

Das Kultusministerium Brandenburg zeigt derweil neben anderen Werken Schrats zwei „Dummies“ der Wortkunst: Mit grauem (Sprichwort) bzw. weißem (Slogan) Grund und fast neutralen Schrifttypen wurden die Tafeln für den Wegesrand vorgefertigt und simulieren vage eine Autobahnsituation. Obwohl man in Potsam der A9-Idee mit Wohlwollen begegnet, müssen sich Henrik Schrat und sein Koordinator Peter Hochel mit Fingerspitzengefühl durch den Skeptikerdschungel kämpfen. Als der Vertreter des Straßenverkehrsausschusses seinen ambivalenten Gefühlen für das Projekt freundliche Worte gab, fanden sich mit dem Kultusminister Steffen Reiche und dem Kunstkritiker Ulf Erdmann Ziegler sogleich engagierte Befürworter des noch ausstehenden Placets der Verkehrsbehörde. Diese steht nur für einen Bruchteil kommender Hürden – schließlich gibt es bis München weitere Anrainerländer.

Ein großer Trumpf für das Projekt ist Professor Dietrich Ungerer von der Uni Bremen. Der Experte für Sensomotorik und Sicherheitstechnik, der sonst ADAC und Verkehrsministerien berät, bescheinigte dem Kunstunternehmen, daß von den Tafeln kaum ernste Irritationen für Autobahnbenutzer ausgehen können. Und nicht nur das: Bei Rasern könnten die ungewohnten Informationen neugierdehalber zu langsamerem Fahren führen, und ganz Müde würden aus der Monotonie gerissen. Ein stark durchwachsenes Publikum käme in die Lage, über Verkrüppelung und Hohlheit, über Schlagkraft und Tradition von Sprache nachzudenken.

Damit aber jeder Autobahnfahrer weiß, was da auf der A 9 an ihm vorüberblitzt, gibt es Kunstvermittlung vor Ort. In Deutschlands ältester Raststätte Rodaborn (1936), zwischen Thüringer Rostbräteln und gedrechseltem Hutständer, erläutert ein Display das „A 9 Projekt“. Und vielleicht finden sich dort auch Interessenten für die „Projektaktie“, durch die die Vision teilweise abgesichert wird. Die Aktie nämlich kann jederzeit in ein Kunstwerk Schrats konvertiert werden, und die Sonderaktie hält sogar die Option auf ein Originalschild nach Ende der Aktion offen. Bis dahin muß noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden. Nur, welches Juwel aus seinem Spruchbeutel würde Schrat als Reklame nutzen? Etwa: „Je höher der Affe steigt, je mehr er seinen Hintern zeigt?“

Bis 30. 10., Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Potsdam. Am 9. Oktober findet um 16.30 Uhr ein Gespräch mit Künstler und Organisatoren statt