Für Netanjahu ging der Schuß nach hinten los

Israels Ministerpräsident kommt nach mißglücktem Mossad-Anschlag auf einen Hamas-Politiker in Jordanien immer mehr in Bedrängnis. Palästinenser sammeln Pluspunkte im Friedensprozeß. Hamas stärker denn je  ■ Georg Baltissen

Jerusalem (taz) – Israels Ministerpräsident, Benjamin Netanjahu, steht da wie ein begossener Pudel. Drei Monate lang hat er Tag für Tag den Kampf gegen den Terror gepredigt und gar Jassir Arafat gezwungen, selbst karitative Einrichtungen der radikal-islamischen Hamas zu schließen. Und dann muß er wegen eines fehlgeschlagenen Mossad-Attentats auf den Hamas-Politiker Khaled Mashal in Amman den Gründer der islamistischen Bewegung, Scheich Ahmed Jassin, amnestieren, 22 Gefangene freilassen sowie das Versprechen abgeben, in der nächsten Zeit weitere 40 bis 50 Leute aus dem Gefängnis zu entlassen. Auch wenn sich unter diesen Freigelassenen keine Hamas-Anhänger oder wegen Mordes verurteilte Personen befinden: Der Schaden für Netanjahu ist nicht zu übersehen. Und wäre das Attentat gelungen, und die Mossad-Agenten hätten entkommen können, die Diskreditierung des Königs und die Verärgerung in Jordanien wären nur noch größer gewesen. Und der Schaden ebenfalls.

Doch Netanjahu wäre nicht Netanjahu, würde er diese Aktion nicht auch noch öffentlich rechtfertigen. Von Rücktritt keine Rede. Immerhin ernennt er eine „Untersuchungskommission“. Doch die Zusammensetzung der Kommission mit einem Ex-Geheimdienstchef, einem Ex-Polizeichef und einem juristischen Berater läßt vermuten, daß nur geklärt werden soll, was auf der operationellen Ebene schiefgelaufen ist. Dabei ist der Skandal politischer Natur. Israelische Analytiker werfen Netanjahu einen „strategischen Fehler“ vor, indem er die Beziehungen zu Jordanien – völlig unnötig – aufs Spiel gesetzt habe. Sogar die Opposition ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und rührt die Trommeln. Zwei Ausschüsse der Arbeitspartei sollen Netanjahu als „Sicherheitsrisiko“ entlarven und die Regierung zu Fall bringen.

Die Auswirkungen auf den Friedensprozeß dürften gravierender sein, als vielleicht heute schon zu erkennen ist. Arafat steht angesichts des Triumphes von Hamas unter massivem Druck, die Hamas-Einrichtungen wieder zu öffnen und sogar Hamas-Gefangene wieder zu entlassen. Die Freilassung von Scheich Jassin zwingt ihn überdies zu engerer politischer Kooperation mit Hamas. Und je ambivalenter die Töne sind, die der Scheich anschlägt, desto schwieriger wird es für Arafat, sich dieser Kooperation zu entziehen. Von der Fortsetzung des bewaffneten Kampfes bis zum Frieden mit Israel, Jassin hat alles im Angebot. Sogar ein Ende der Selbstmordanschläge hat Jassin offeriert, freilich nur, wenn Israel die Besetzung beendet. Doch bleibt vorerst unklar, welchen Platz er in der Hamas- Hierarchie einnehmen wird. Nach neun Jahren Gefängnis könnte seine Rolle auf die eines „geistigen Führers“ beschränkt bleiben. Einen direkten Einfluß auf die Ezzedin-al-Qassem-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas, hatte er ohnehin nie.

König Hussein steht zumindest kurzfristig ebenfalls als Sieger da. Ihm ist es gelungen, sich als „Wächter des Islam“ zu profilieren. Das dürfte den Islamisten in seinem Lande bei den Parlamentswahlen im kommenden Monat einigen Schneid abkaufen. Auch hat er fürs erste die Hamas im eigenen Land zufriedengestellt. Doch auf längere Sicht wird ihm der Vorwurf der Mauschelei und „Zusammenarbeit mit dem zionistischen Feind“ nicht erspart bleiben. Und die Friedensgegner in Jordanien werden sich bestätigt fühlen, daß Israel einen wirklichen Frieden und gute Nachbarschaft gar nicht will.

Die öffentliche Verteidigung des Anschlags durch Netanjahu dürfte allerdings auch den König erneut in Rage versetzen. Er wird nicht nur am gesunden Menschenverstand Netanjahus zweifeln, sondern auf absehbare Dauer die Sicherheitskooperation mit Israel aussetzen.

Der Skandal überschattet auch die gegenwärtige Mission von US- Unterhändler Dennis Ross. Eine im inneren Clinch verhaftete israelische Regierung dürfte kaum ein besonders aktiver Verhandlungspartner sein. Und doch könnte der innere Druck auf die israelische Regierung auch für Ross ein Fenster öffnen. Ein zusätzlicher Streit mit der US-Regierung über die Siedlungsfrage kann sich Netanjahu derzeit wohl kaum leisten. Schon machen erste Gerüchte die Runde, daß Netanjahu bereit ist, den Siedlungsbau für ein halbes bis dreiviertel Jahr auszusetzen, wenn die Palästinenser auf weitere Teilrückzüge der israelischen Armee verzichten. In dieser Zeit sollen dann die Abschlußverhandlungen zügig zu Ende gebracht werden. Zugleich könnten in dieser Zeit die austehenden Punkte des Interims- Abkommens wie der Bau von Flug- und Seehafen in Gaza und die Verbindungsstraße zwischen dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen realisiert werden. Ob die Palästinenser einem solchen Plan zustimmen, ist jedoch fraglich. Müssen sie doch vor allem befürchten, am Ende weniger Land für Frieden zu bekommen, als ursprünglich in Aussicht gestellt. Während Arafat Zeit gewonnen hat, geht für Netanjahu der Skandal weiter. Am Montag wird der Ministerpräsident erst einmal von der Opposition in der Knesset an den Pranger gestellt werden.