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Legale Schwarzarbeit

■ Die 610-Mark-Jobs müssen weg, doch was statt dessen folgt, ist bei Kritikern umstritten

Berlin (taz) – In einem Punkt sind sich SPD und Bündnisgrüne einig: Die Regelung zur sogenannten geringfügigen Beschäftigung muß weg. Mit dieser Regelung können Arbeitsplätze bis zu 610 Mark Bezahlung im Westen (520 Mark im Osten) von der Sozialversicherung befreit werden. Doch dann ist es mit der Gemeinsamkeit auch schon wieder vorbei.

Während die Grünen kategorisch eine volle soziale Absicherung für die 610-Mark-Jobs fordern, will SPD-Chef Oskar Lafontaine bei einem Wahlsieg seiner Partei die 610-Mark-Jobs durch Teilzeitarbeitsplätze mit Sozialversicherungspflicht ersetzen. Dies sei ökonomisch und sozial sinnvoller, sagte er dem Spiegel. Als Anreiz für Teilzeitjobs plädiert Lafontaine dafür, Beschäftigte von der Arbeitslosenversicherung freizustellen, wenn sie weniger als die Hälfte der Wochenarbeitszeit arbeiteten.

„Das geht völlig in die falsche Richtung“, widerspricht die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Annelie Buntenbach. Arbeitnehmer aus der Arbeitslosenversicherung auszugrenzen käme einer neuen Diskriminierung gleich, so die Bundestagsabgeordnete. „Die Wettbewerbsverzerrung durch das Lohndumping, die Lafontaine einerseits beklagt, installiert er dann für Jobs unter 18 Wochenstunden“, sagt Buntenbach. „Jede dauerhafte Beschäftigung soll auch sozialversichert werden“, fordert sie.

Das unterstützen Gewerkschaften, Kirchen und der Deutsche Frauenrat. Die Organisationen haben für diese Woche zu einer Kampagne gegen die 610-Mark-Jobs aufgerufen. Heute wollen sie an Bundesarbeitsminister Norbert Blüm eine Liste mit über 80.000 Unterschriften übergeben. Ihre Forderung: „Eine Gesetzesreform zur Einbeziehung aller Beschäftigungsverhältnisse in die Sozialversicherungssysteme ist mehr als überfällig.“

Nach Angaben des DGB arbeiten in Deutschland derzeit zwischen 4,5 und 6 Millionen Menschen ohne Sozialversicherung, Tendenz steigend. Der Anteil der Frauen lag 1992 bundesweit bei 60 Prozent, in den alten Bundesländern bei 70 Prozent.

In zunehmendem Maße würden Vollzeit- und Teilzeitarbeitsplätze in geringfügige Beschäftigung umgewandelt, so der DGB. Die Unternehmer sparten so ihre Sozialabgaben ein. Dadurch gingen den Sozialversicherungen jährlich Einnahmen in Milliardenhöhe verloren, heißt es in dem Protestbrief weiter. Als „legalisierte Schwarzarbeit im großen Stil“ bezeichnet die Katholische Arbeitnehmer- Bewegung (KAB) die Beschäftigung ohne soziale Absicherung. Uta Andresen

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