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Schweigen im Befehlston

■ „Tick das mal“: Klaus Theweleit, Autor von „Männerphantasien“, sprach im Berliner Ensemble über Nachkriegsdeutschland und RAF

Die RAF ist wieder in. Schriftsteller schreiben Romane, Theaterregisseure beschäftigen sich (nicht nur am Berliner Ensemble) mit den 70er-Jahre-Revolutionären, dänische Modeschöpfer ließen kürzlich ihre neue Kollektion von „Jan, Ulrike, Carl, Gudrun und Andreas“ vorführen. Klaus Theweleit ist auch dabei.

In der ersten, der auf neun Veranstaltungen angelegten „Brechtschulungen“ im BE (von denen Theweleit fünf bestreiten wird), machte er am Dienstag abend seine „Bemerkungen zum RAF-Gespenst“. Der kleine Saal war überfüllt wie erwartet; die, die nicht mehr reinkamen, hörten über Lautsprecher zu. Aus den 90 Minuten, die der Autor der „Männerphantasien“ über RAF, ohne bestimmten Artikel, sprechen wollte, wurden vier Stunden.

Theweleit holte weit aus und begann mit einem längeren autobiographischen Text über die eigene Kindheit und Sprachsozialisation in den 50er und 60er Jahren. „Die Zusammenhänge werden sich schon herstellen“. Taten sie dann auch.

Als Dreijähriger kam er mit seinen Eltern aus Ostpreußen nach Schleswig-Holstein. Die Eltern weigerten sich, ihren Heimatdialekt abzulegen. Einerseits lernte er als kleiner Junge die fremde Sprache, andererseits bekam er Bonbons, wenn er zur Gaudi des lachenden Kaufmanns das „r“ der Eltern so lustig ostpreussisch rollte. Die Eltern weigerten sich, übers dritte Reich zu sprechen und mühten sich, ihn in ihr Schweigen „einzugemeinden“.

Fragte er zu lebhaft, hieß es aus ihm werde noch ein Hitler. Die Elternvergangenheit war keine Erzählung, nur Mittel des kleinfamiliären Terrors, Erpressung und Befehl: wie schlecht es uns geht, wie gut du es hast. Einerseits das Schweigen; andererseits das oberste Gebot der Nazigeneration: Du sollst nicht lügen. Wer es übertrat, wurde mit Ausschluß, also Tod bedroht. Die Sprache, erstes Mittel des Umgang mit Welt, war kaputt. „Ich erinnere mich nicht, bis dreißig einen Satz zu einem Erwachsenen ohne Erröten oder Stottern gesprochen zu haben.“

„Das mit dieser Sprachsituation verknüpfte Gefühl von Unwirklichkeit“, eine Erfahrung, deren Reste hierzulande immer noch spürbar sind, greift auf den Körper über. Deutsche Nachkriegsfilme hätte er sich nie anschauen können, weil sich der deutsche Körper nicht bewegen konnte.

Authentische Sprachen kamen erst mit dem Rock 'n' Roll. Später: Freud, Marx, Reich, Frankfurter Schule. Ausländer allesamt, aus deren Sprache man sich versuchte, eine eigene zusammenzubasteln; eine Sprache aus verfemten Elementen; sexualisierte Sprache, „jüdisch intellektuelles Rotwelsch“, an das man sich hielt, um einen eigenen, wirklichen Körper zu bilden.

„Das Entscheidende“ – an der Sprache, an 68 – sei die Verspieltheit, die Offenheit gewesen, die man der klaustrophobischen Enge der Eltern entgegenhielt. Was man mal Subkultur nannte, sei das eigentlich Konkrete, Produktive an 68 gewesen. Die RAF, deren Gründung eigentlich schon Verzweiflungsakt gewesen wäre, um die politische Leere, die sich Anfang der 70er auftat, zu füllen, deren „politische Logik auf Selbstvernichtung angelegt“ gewesen sei, war dagegen: Rückfall ins Papa- Mama-Schema, abstrakter Radikalismus; opfer-, identitäts-, also auch todessüchtig. Reduktion der Sprache auf durchgehenden Befehlston, „Verlängerung familiärer Zwangssysteme“, spürbar noch in den Resten der radikalen Linken: „du weißt nicht, was ein befehl ist“, schreibt Gudrun Ensslin in einem dieser erschreckenden Knastbriefe, die Theweleit zitierte und die sich nicht nur RAF-Fans mal besorgen sollten. Ständig wiederholen sich Wendungen wie: „wirf mal den unmaterialistischen scheiß aus deinem hirn“, „kapier das gefälligst“, „tick das mal“, „wer das nicht tickt, tickt nicht richtig“ – als sei die Welt eine Maschine und der andere eine Uhr, die zu funktionieren habe. Detlef Kuhlbrodt

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