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Zeichen sind für alle da

Zum fünfjährigen Jubiläum der Berliner Volksbühne inszenierte Subcomandante Castorf Hauptmanns „Weber“. Es ist lustig. Man lacht. Aber irgendwie unfroh  ■ Von Petra Kohse

Merkwürdig: Mehrfach eilt ein Hund vorbei, echte Ziegen kauen und kacken, am Ende präsentiert sich eine Webmaschine groß auf drehender Bühne, und eine Werbebroschüre von Mercedes-Benz wird vorwurfsvoll als Programmheft gereicht. Das politisierbare Individuum also steht in Frage und wird auch gleich verneint: Was sich nicht in Trieb und Funktionalität erschöpft, ist käuflich und lenkbar, das Klassenbewußtsein kanalisiert sich in S oder A.

Mit Hauptmanns „Webern“ feiert Frank Castorf sein fünfjähriges Jubiläum an der Volksbühne. Wobei „feiern“ vielleicht zuviel gesagt ist, denn irgendwie ist alles ziemlich depressiv. Erwartungsgemäß entfernt von historischem Aufstand und naturalistischem Text zeigt er nicht nur, daß alles einerlei (Kommunismus, Kapitalismus) und gleichermaßen nichts ist, sondern auch speziell, daß daran nichts zu ändern ist. Woran das Proletariat schuld sein könnte, das sich zugunsten kleinbürgerlicher Absichten einfach aufgelöst hat. Mit der Gründung der DDR? Mit dem Fall der Mauer? Wer weiß.

„Die Weber“, „De Waber“, erstveröffentlicht 1892. Castorf läßt teils die Fassung in schlesischem Dialekt sprechen. Das macht nichts, weil man den Text ohnehin nicht so genau verstehen muß. Die Männer tragen ihre Sehnsucht auf dem T-Shirt: Boss- Logo oder Schäferhundkopf, die Frauen wackeln schon auf den höchsthackigen Sandalen herum, mit denen sie gerne mal nach Mallorca flögen. Herr Dreißiger seinerseits, der Kapitalist und Ausbeuter, will sich dem Authentischen anverwandeln, das es ja gar nicht mehr gibt. So singt er (Henry Hübchen!) das Lob des Kommunismus, läßt die Weber mit dem Hintern kurz sein Sofa berühren und federt zu Ska-Musik allen voran.

Weber oder Nicht-Weber ist hier gar nicht mehr die Frage, Hunger oder Nicht-Hunger ist fast egal, und was Arbeit sein soll, kann niemand sagen. „Ich will nicht arbeiten, ich will Karriere machen“, kreischt Kathrin Angerer als Webertochter Rosa, die es am Ende auch geschafft hat, und als Frau Dreißiger im Goldlamékleid nach dem Polizeistaat ruft, ihren Mann beschimpft und das wahre Leben bei den Untoten auf der Leinwand sucht: „From Dusk Till Dawn“. Macht das glücklicher?

Die Bühne. Bert Neumann hat Plastikholzwände aufgestellt, auf denen anfangs große Preise (1,99! 3,99!) kleben. Später sieht man die Webmaschine vor einer Wand aus Leuchtstoffröhren, in deren Mitte ein unverschämt großes Schild „Hunger“ meldet, während noch später eine laufende Frittentüte und ein ebensolches Würstchen mit Senf eine große Rolle spielen. Kostüme, hinreißende.

Daß es kein Mißverständnis gibt: Diese „Weber“ sind so gut wie jede Castorf-Inszenierung. Voller ausgezeichneter, heiserer und exaltierter Schauspieler-Leistungen. Astrid Meyerfeldt als Mutter Baumert, eine heilige Johanna des Alltagsfrusts! Oder Sophie Rois als leopardenberockter Parteiaktivist auf einsamem Posten!! Es ist lustig. Man lacht. Sogar viel. Allerdings stets ein bißchen unfroh. Unfroher als sonst, hämisch, ist das die Idee? Auch gibt es viele Pausen. Echtzeitumbauten, während derer Hübchen konferiert („Ist das Arbeit, was ich hier mache?“): Naturalismus nach Volksbühnenart, das mag okay klingen, fühlt sich aber schwer an, schwerer als sonst. Man wird diesmal stumpf im Parkett: ein Analogieeffekt.

Auch wird assoziiert. Was sich nicht wehrt, gehört schon dazu. Texte der IG Metall, von Gräfin Dönhoff und Subcomandante Marcos. Kein Ausweg, nirgends: Wer glaubt, lügt. Wer handelt, irrt. Nichts zählt, aber es geht immer weiter. Ziemlich am Ende, wenn Henry Hübchens Dreißiger in Folge des Aufstands – von dem man sonst nichts weiter mitkriegt – aufgehängt worden ist und dekorativ an der Schlinge hängt, hebt er doch wieder an zu reden. Text aus „From Dusk Till Dawn“: „We got any Pussy. Do you want Pussy?“ ruft er und tänzelt in der Luft wie zuvor zu Ska und Reggae. Sind Zeichen nicht für alle da?

Es ist virtuos, es ist abgehangen und abgeklärt. „Ich habe meine Polemik verloren“, vertraute der 46jährige Staatstheaterintendant Castorf vor zwei Tagen der Berliner Zeitung an. Deswegen gebe er kaum noch Interviews: „Ich habe nichts zu sagen. Ich merke, daß es mir ganz gut geht. Dann ist es schwer, weiter den Straßenkämpfer zu spielen, das wird etwas bigott, wenn man ein paar Immobilien zuviel hat.“ Später spricht er dann zwar doch wieder vom Leiden an der Gesellschaft, das persönliche Leiden aber sei irgendwie vorbei. Für mehr als fünf Jahre reiche die revolutionäre Kraft nicht, nicht bei ihm und nirgendwo sonst. Im Amt bleibe er trotzdem.

Ist das jetzt Trieb oder Funktionalität? Oder gar Klassenbewußtsein, käufliches?

Als nach der Premiere der „Weber“, am Tag der Republik selig, in der Volksbühne am Platz der Rosa Luxemburg seliger nur ein einziger gelangweilter Zwischenruf aufkam („Nun macht doch endlich Schluß!“) und danach gewissermaßen Applaus, gewürzt mit ein oder zwei „Buhs“, da trat auch der Regisseur ins Licht, gekleidet in zimtfarbenes Leinen und ein etwas helleres Hemd. Geschmackvoll, mit aparten Knittern. Er verbeugte sich ernst und kurz.

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