Italiens Rotkäppchen hat recht

■ Ein Scheitern Prodis würde den Armen aber nichts nützen

Man kann den Chef der italienischen Neokommunisten mögen oder nicht, man mag seine Forderungen als Konsequenz ehrlicher Empörung oder als reines Taktieren ansehen. Doch was Fausto Bertinotti derzeit sagt, hat Hand und Fuß.

Wenn er darauf hinweist, daß die Regierung, „diese Regierung, die sich links nennt“, den Sozialstaat abbaut wie keine Administration vor ihr, dann hat er recht. Wenn er kritisiert, daß die Arbeitsmarktpolitik nur den Unternehmern nutzt und die Arbeitslosigkeit nicht einmal ansatzweise beseitigt, ebenfalls. Daß im Gesundheitswesen immer mehr die ganz Armen zur Ader gelassen werden, stimmt ebenso wie die Klage, daß die Rentenreform nichts anderes ist als der Entzug erworbener Rechte. Millionen haben ihre Lebensplanung auf das alte System gebaut, das nach 35 Jahren Beitragszahlungen den Schritt in die Rente erlaubte. Nun sollen alle bis 60 oder 65 arbeiten. Damit bricht ein Eckpfeiler des italienischen Versorgungssystems weg.

Doch so sehr Bertinotti auch recht hat – das Problem ist eben: Wie greift man einem Nackten in die Tasche? Italien ist, trotz vieler Sanierungsmaßnahmen, praktisch noch immer pleite. Die Gewerkschaften, die bis vor wenigen Wochen Bertinottis Linie stützten, haben das in immer neuen Modellrechnungen mittlerweile erkannt und sind nun zu einigen Zugeständnissen bereit.

In dieser Hinsicht stellt Bertinotti sich jedoch schwerhörig und handelt nur noch aus Parteiräson. Kommt ihm die Regierung doch noch entgegen, um die Krise und damit den von ihr befürchteten Ausschluß aus der Währungsunion zu vermeiden, wird er sich als landesweit bester Polit-Pokerer darstellen. Gibt es Neuwahlen, kann er sich als der einzige noch verbliebene Hüter der Rechte der Armen empfehlen. Doch von da an hat er nicht mehr recht. Neuwahlen bergen durchaus das Risiko eines Rechtsrucks, was den Arbeitern schwer schaden würde. Selbst eine Bestätigung der Linken würde aufgrund der inzwischen eingetretenen Unsicherheit all die Opfer der letzten Monate vergebens machen – ohne daß dadurch den Arbeitern Besseres blühen würde. Und das gilt auch für den Fall, daß die Regierung ihm jetzt noch weiter entgegenkommt. Bertinotti hat zwar recht – doch es ist eben nicht alles machbar, was recht ist.

Werner Raith

Berichte Seite 2, Portrait Seite 11