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The World According to Eva

Klischee trifft ironische Selbstdistanz: Im Grunde ist Eva Schweitzers „Hauptstadt-Roulette“ kein Hauptstadt-Roman, sondern einer über die kleine Zeitung namens taz (oder auch nicht, wer weiß das schon so genau)  ■ Von Helmut Höge

Das derzeitige „Immobiliendenken“ ist weniger „europäisch“ (wie etwa die FAZ findet) als vielmehr dumpf-deutsch. Es steht noch im Bann von „Volk braucht Raum“, „Blut und Boden“. Der „sichere Ort“ ist so jedoch nicht (mehr?) zu kriegen, meint Christoph Ransmayr und setzt eher auf das nomadische Denken, Osttibets z.B., wo die „Immobilie“ unbekannt ist. 200 Worte kennt man dafür dort für das Pferd. Dieses Mobile ist den Nomaden jedoch auch bloß ein beweglich gemachter Boden. Ein Betriebsrat der so gut wie abgewickelten Filmfabrik in Wolfen erzählte mir am 3. Oktober einen neuen DDR-Witz: „Wann ist die deutsche Einheit endlich vollzogen? Wenn der letzte Ossi aus den Grundbüchern getilgt ist. Aus den Handelsregistern sind wir schon so gut wie raus.“

Die „Sanierung“ – von 45 Jahren SED-Diktatur und -Mißwirtschaft – hält also noch immer an. Und mit ihr die künstlerischen Bearbeitungen dieser „Nationalen Großaufgabe“ bzw. der dabei anfallenden „Individualtragödien“. Rolf Hochhuths Stück „Wessis in Weimar“ bezeichnete das manager-magazin als „2. Anschlag auf Detlev Rohwedder“. Günter Grass trat dessen Nachfolgerin dann quasi persönlich im Paternoster des Reichsluftfahrtministeriums, vulgo: Treuhandanstalt, entgegen. Deren „Chefabwickler“ veranstalteten im Osten damals gerade einen „Großflugtag“ nach dem anderen (derzeit will man in Sachsen bei der ABM-Vergabe übrigens zum „Sinkflug“ übergehen).

Die Großliteraturen der Überflieger Hochhuth und Grass waren ihrem Gegenstand jedoch nicht gewachsen, meinte hernach die Hochkritik. Ebensowenig dann all die flotten Treuhand-Analysen von Top-Journalisten, Grünen-Politikern und Bremer Professoren bis hin zu Nürnberger Marxisten: Ihren durchsichtigen Deduktionen mangelte es mindestens an einer Würdigung – auch noch des allerletzten DDR-Rührmixgeräts.

„Jede Baustelle ist eine Hoffnungsstelle“

Dem Privatisierungs- folgte real der Immobilienwahn. Die Zeitungen richteten Immobilien-Redaktionen ein. Masterskizzen und Bedarfsberechnungen von Stadtentwicklern sowie die Äußerungen von Baupolitikern wogen alsbald so schwer wie Fünfjahrespläne. „Jede Baustelle ist eine Hoffnungsstelle“, orakelten die Politiker Hanna-Renata Laurien und Manfred Stolpe bei Grundsteinlegungen unisono. Und ein Jungfilmer nannte sein Berlin-Machwerk gleich „Das Leben ist eine Baustelle“.

Selbst die taz kümmert sich inzwischen so rührend um die Befindlichkeiten von Bauherren – als wären es scheue Rehe – und richtete gar einen gemeinsamen Ausbildungspool mit den führenden Berliner Stadtmarketing-Agenturen ein (zu Vorwendezeiten schulte man dort noch gerne abgestrafte Stadtguerilleros um).

Die frühere zitty-Autorin und taz-Lokalredakteurin Eva Schweitzer wechselte unterdes als „Immobilienspezialistin“ von der taz zum Tagesspiegel.. Dieser verschob nach Übernahme durch den Düsseldorfer Handelsblatt-Herausgeber seine Gewichte vom „Berliner Kulturleben“ zur „Ökonomie“, wobei deren „Globalisierung“ jedoch gleichzeitig feuilletonisiert beziehungsweise magazinisiert wurde.

Daß schon bald eine neue Welle von Hauptstadtliteratur, nur diesmal quasi von der Regionalliga (beschränkt auf urbane Kitzel, Kieze, Bezirke und Lebensäußerungen), entstand, lag nahe. Zumal der seinerzeit schon literarisch ausgelotete Westberliner Bau- „Sumpf“ nahezu bruchlos in Großberliner „Filz und Korruption“ überzugehen schien.

Nachdem Eva Schweitzer 1996 ihre Recherchen über die „Großbaustelle Berlin“ als Buch veröffentlicht hatte, schrieb der ehemalige Betriebsrat Mathew D. Rose in seinem Buch über die Berliner CDU-Politik „Hauptstadt von Filz und Korruption“: „Sicherlich wird die Frage auftauchen, warum ich nichts über die Bau- und Immobilienwirtschaft geschrieben habe. Leider ist mir Eva Schweitzer zuvorgekommen. Sie hat damit meiner Meinung nach ein Paradebeispiel für entpolitisierten Journalismus vorgelegt. Sie hätte sicherlich anders gekonnt. Aber jedesmal, wenn sie an heikle Fragen von Filz und Korruption stieß, sprang sie gleich zum nächsten Thema weiter.“

Rose schlug vor, ihr deswegen einen „hochdotierten ,Wolfgang- Antes-Preis für kritischen Journalismus‘“ zu verleihen. Tatsächlich bekam Eva Schweitzer dann den „renommierten ,Theodor-Wolff- Preis‘“ (der uns Wirtschaftsdilettanten jedoch wenig sagt). Vielleicht war die Autorin der Meinung, daß man das, was derzeit in der Stadt geschieht, ohnehin besser in Form eines Romans beschreiben sollte. Oder sie wollte einfach mal an einem lustigen Sonntagsbuch (über eine Liebesgeschichte) arbeiten, in dem das ganze alltägliche Immobiliengewurschtel nur noch Kulisse ist.

In ihrem soeben veröffentlichten Roman „Hauptstadt-Roulette“ blieben jedenfalls im Gegensatz zu den Namen der Baupolitiker die Edelrestaurants in Mitte alle unverschlüsselt. Ihr früherer taz-Kollege, Immobilienredakteur Uwe Rada, der demnächst ein Sachbuch mit dem Titel „Berlin – Hauptstadt der Verdrängung“ veröffentlicht, bezeichnet ihren Roman-Plot als „eine Welt, in der die Figuren, die darin leben, noch kleiner sind als ihre fiktive Umgebung“. Obwohl sie von Karlshorst bis nach Zehlendorf und von Stasi- Redakteuren bis zu korrupten Baubeamten reicht.

Provinz-Poker statt Hauptstadt-Roulette

Ähnlich enttäuscht reagierten die Rezensenten von Berliner Zeitung und FAZ. Auch sie meinten wahrscheinlich wie Rada, daß das Buch „in den ,Berlin-Zimmern‘ der Bonner Ministerien besser aufgehoben ist als in den Bücherregalen einer Großstadt“: Provinz-Poker statt Hauptstadt-Roulette. Das ist mir jedoch nach Kenntnis der Dinge und Lektüre des Romans nicht recht verständlich. Man schaue sich nur mal die kümmerliche Fake-„Bibliothek“ in Berlins Guter Stube „Hotel Adlon“ an. Auch die komplette Personage der Förderwege und Immobilienpolitiker hätte doch bequem z.B. im kleinen Ku'damm-Restaurant „Ciao“ Platz, ja, nimmt dort – hinter schußsicherem Glas – tatsächlich manchmal Platz.

Die romanhaft kurzen Wege zwischen taz-Gebäude, WG am Winterfeldtplatz und Baudezernat-Mitte haben also durchaus (als eine Art alternativer Parallelwelt) die Wirklichkeit für sich. Auch daß sich in der Lokalredaktion nahezu täglich neue Praktikantinnen der Hauptstadt-Lüge entgegenstemmen und einmal im Monat die taz- Chefredakteure wechseln, hat einen komischen Wahrheitsgehalt. Wie auf der anderen (Rhein-) Seite auch die vom Kanzler abgekupferte Leerformel aller Umzugsministerialen: „Wir liegen voll im Zeitplan!“

Merkwürdig stieß mir dagegen die ebenso stereotype Restpersonage in dem Berlin-Roman auf: „Hütchenspieler, Russen-Mafia, Kurden-Mafia, vietnamesische Zigaretten-Mafia“ etc. Zusammen mit ihrem Insistieren auf Winterfeldtplatz-Dialoge – Treffpunkt der Futonficker vom Südstern – bekommen derartige Schönbohmismen etwas bösartiges Alternativ-Rassistisches. „Türken raus! Warum nicht, wenn es dem Kiez hilft“, schrieb einmal eine Berliner Stadtzeitung über Kreuzberg.

Während jedoch der Autorin all die „Ausländer“ inzwischen gleichsam polizeilich entrückt sind, gilt ihre Aufmerksamkeit nun, abgesehen von den handlungsstrangrelevanten West-Beziehungen, vor allem den Ostlern, die ihr dank Gauck, SFB und Stölzl schon fast mit der Stasi identisch geworden sind. Das ist natürlich alles überhaupt nicht hinzunehmen: eine rechte Sauerei, nur damit zu erklären, daß Eva Schweitzer sich inzwischen komplett zu einer Montainbikerin mauserte – nach oben duckend und nach unten tretend.

Für die taz galt einmal genau das umgekehrte Prinzip. Da dort jedoch inzwischen auch intern die regelmäßigen „Öko-Bauen und -Wohnen“-Sonderseiten als die einzig interessanten gelten und die Autorin andererseits ihre Hauptperson, eine beinharte investigative taz-Immobilienjournalistin, genau in der Berliner Lokalredaktion ansiedelte, läßt sich ihr eine ironische Selbstdistanz nicht absprechen.

Insofern ist das Buch jedoch kein Roman über die „Hauptstadt“, sondern über die Berlin-taz – als immobiles Sprungbrett zur Mobilität, die darin besteht, gelegentlich in noblen Mitte-Restaurants essen gehen zu können und immer mal wieder über New Yorker oder Shanghaier Großbaustellen, „wo der Potsdamer Platz fast niedlich wirkt“, schlendern zu dürfen.

To have lunch or to be lunch, das scheint hier und jetzt die Hauptfrage zu sein. Ihr Buch ist damit ein echter Beitrag zur derzeitigen Globalisierungsdebatte in Berlin, die mit der „Yuccapalme“ auch sogleich auf einen ziemlich guten Urban-Tale-Begriff gebracht wird.

Eva Schweitzer: „Hauptstadt- Roulette“, Argon, Berlin 1997, 298 Seiten, 26 DM

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