Die Regierung als Brandstifter

■ Im Amazonasgebiet zündeln Großgrundbesitzer wie in jedem Jahr. Die Katastrophe hat Ausmaße wie das Feuer in Südostasien

Rio de Janeiro (taz) – Drittweltbewegte Rucksacktouristen, die sich per Bus in die Amazonas-Heimat des ermordeten Kautschukzapfers Choco Mendes aufmachen, fühlen sich unverhofft nach Asien versetzt: Flammenwände, die eine Länge von 150 Kilometern erreichen.

Das Feuer frißt sich bis an die Fernverkehrsstraßen heran, Lkws geraten in Brand, gelegentlich explodieren Tanklaster. Businsassen husten permanent, in Großstädten wie Rio Branco oder Cuiaba werden Kinder und alte Menschen zu Tausenden mit schweren Rauchvergiftungen in die Hospitäler eingeliefert. Wer die Acre-Hauptstadt Rio Branco per Flugzeug ansteuert, hat häufig Pech: Schon wieder muß der Pilot umkehren, weil der Flughafen geschlossen wurde.

„So etwas, was derzeit in Asien passiert, haben wir hier jedes Jahr. Die Dimensionen der Umwelttragödie sind gleich oder noch gravierender“, sagt Robert Buschbacher, Chef des WWF in Brasilia. Natürlich freue sich die Mitte-rechts-Regierung, daß die Amazonas- brände von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt blieben und niemand solchen Krach schlage wie in Asien.

In der Amazonas-Trockenperiode, die im Juli beginnt und dieser Tage endet, zündeln Großgrundbesitzer, Rinderzüchter und Neusiedler regelmäßig illegal Wald oder Savanne ab, um mehr Weide- und Ackerland zu gewinnen. Das Feuer vernichtet Millionen von Tiere. Durch die Queimadas genannten Waldbrände steigen jährlich an die 600 Millionen Tonnen giftiger Gase in die Atmosphäre auf, der Marktwert des verbrannten Holzes geht in die Milliarden.

Brasiliens Umweltminister Gustavo Krause und seine Aufsichtsbehörde IBAMA läßt dies ungerührt. Auch der von Bankern und Investoren aus der ersten Welt hochgelobte Staatschef Fernando Henrique Cardoso gibt ohne weiteres zu, durch amerikanische Satellitenfotos über Abholzungen und Queimados informiert zu sein. Leider sei man nicht in der Lage, dies zu stoppen, da in jenen Regionen öffentliche Kontrollinstanzen unfähig wären, den Gesetzen Achtung zu verschaffen.

Falsch, sagen nicht nur Umweltschützer. In Amazonien haben Cardosos wichtigste politische Bündnispartner das Sagen. Sie sind verfilzt mit Holzfirmen, Bergbauunternehmen und Großgrundbesitzern, zu denen schließlich auch der Präsident selber zählt.

Die Regierung in Bonn hat nach eigenen Angaben über 100 Millionen Dollar in ein Politprojekt zum Schutz der brasilianischen Regenwälder gesteckt. Sie rühmt sich ihrer führenden Rolle als größter ausländischer Öko-Investor – deutsche Umweltorganisationen wie „Urgewald“ sprechen von ernüchternder „Erfolglosigkeit“. Die Entwicklungszusammenarbeit werde nach wie vor durch Wirtschaftsinteressen dominiert, die auf die Verwertung der Ressourcen der Tropenregion gerichtet seien.

Brasilien, 24mal so groß wie Deutschland und immerhin neuntgrößte Wirtschaftsnation, hätte natürlich Mittel und Möglichkeiten, um die stupide Urwaldvernichtung und die millionenfachen Tierqualen zu verhindern. Doch korrupte Waldhüter lassen sogar zu, daß die berüchtigten Goldgräberhorden Amazoniens per Waldbrand auch geschützte Tiere jagen: Flammen und Rauch treiben sie aus Höhlen und Dickicht just dorthin, wo die Goldsucher mit Gewehren oder sogar Maschinenpistolen im Anschlag lauern.

Auch in Deutschland ißt man gerne Paranüsse – benannt nach jenem Teilstaat Para, in dem die Militärpolizei laut Kirchenangaben im April 1996 über 30 Landlose erschoß. In einer einzigen Augustnacht wurden über 4.000 der selten gewordenen, theoretisch streng geschützten Riesen-Paranußbäume zu Asche – auch zum Schaden der bitterarmen Nußsammler.

Brandrodungen zerstören im übrigen nicht nur die Wälder, sondern auch die Bodenfruchtbarkeit – nach drei Jahren geben die neuen Flächen meist nichts mehr her. Dann ziehen die Brandstifter weiter. Und erneut wird traumhaft schöner Amazonaswald abgefackelt. Patricia Sholl