Gebrauchstheater mit Nachbrenn- und Nebeneffekt

■ Dario Fo wendet die Farce als Mittel im Klassenkampf an. Er nimmt die Realität ernst, indem er seine Komödien über sie schreibt. Mehrmals wird er daher auf offener Bühne verhaftet

„Wir sind überzeugt, daß im Gelächter, im Grotesken der Satire, der höchste Ausdruck des Zweifels liegt, die wichtigste Hilfe der Vernunft. Deshalb haben wir als Mittel und Instrument unserer Arbeit als Theatermacher im Dienst des Klassenkampfes die Farce gewählt, die eine vom Volk erfundene Theaterform ist, ,um mit glühender und unerbittlicher Zunge die Fäulnis wegzuschneiden, auf die sich die Macht gründet‘. Jener faule Sack, der die bürgerliche Kultur ist.“

Ein kämpferisches Theatercredo als Vorwort zu Dario Fos wohl erfolgreichstem Theaterstück „Bezahlt wird nicht“, 1974 entstanden als Reaktion auf eine durch hohe Lebenshaltungskosten und gleichzeitigen Stellenabbau in Italien gekennzeichnete gesellschaftliche Situation. Auf die der Theatermacher mit seinen Mitteln reagierte: er nahm die Realität ernst, indem er eine Komödie über sie schrieb. Zwei Arbeiterfamilien lassen sich zur Waffe des zivilen Ungehorsams treiben. Die Antreiber sind die Frauen, die in allen Stücken Dario Fos immer auch mit (Ehe-)Männern zu kämpfen haben, die typische Genossen, also Papas und Paschas sein wollen.

Bezahlt wird nicht: eine strafbare Handlung, und doch wird dieses Stück geradezu ein Renner an (west-)deutschen Staats- und Stadttheatern. Statt Sprengstoff in Italien Komödiantenfutter in Deutschland. Denn der frei denkende, der KPI kritisch und kritisierend nahestehende Dramatiker Dario Fo ist der beste Darsteller seiner Stücke. Weshalb sie mit irrwitzig überdrehter Komik immer genuines Schauspielertheater sind, selbst da, wo sie, Brecht folgend, didaktische Elemente enthalten. Dario Fo ist Schauspieler, Autor, Regisseur, manchmal auch noch verantwortlich für Bühnenbild und Kostüme: ein Wanderschauspieler, ein Volkstheater-Komödiant.

Wenn man seine Stück (bei Rotbuch verlegt) liest, merkt man sofort: hier gehen dem Autor Situationskomik und theatrale Effekte über literarische Ansprüche. Gebrauchstheater mit hohem Nachbrenneffekt, entstanden in Reaktion auf politisch aktuelle Situationen und deshalb von der gesellschaftlichen Entwicklung auch abhängig.

Dario Fo reist mit einer italienischen Parlamentariergruppe nach Deutschland, besucht Stammheim und tritt vor einem linken Publikum in Theatern und Universitäten mit seinem Solospektakel „Misterio Buffo“ auf. Theaterspektakel als politisch-theatrale Manifestationen, in denen die fahrenden italienischen Spielleute und Geschichtenerzähler wieder lebendig werden. Der Darsteller extemporiert und improvisiert, steigt aus und in den Dialog mit dem Publikum hinein, kommentiert das Spiel selbst wieder ironisch, gestikuliert mit enormer körperlicher Komödiantik und erfindet mit „Gramelot“ einen fiktiven Bühnendialekt, im Laut unverständlich und im Sinn einleuchtend.

Gegen Fos volkstümliche Umwertung der biblischen Geschichte protestiert der Papst, die Einreise in die USA wird Fo mehrfach verweigert. In Italien wurde er mehrmals auf offener Bühne verhaftet, und im italienischen TV bekam er, obwohl oder weil er zwei Jahre lang (ab 1962) eine Fernsehsendung moderiert hatte, Auftrittsverbot.

Dario Fos Theater ist ohne seine Frau und Kollegin Franca Rame nicht denkbar, die an seinem Theater mitarbeitete und seine Stücke mitschrieb. 1959 gründeten sie ihre erste gemeinsame Theatergruppe, seitdem arbeiteten sie immer außerhalb der etablierten Theater. Von der Theaterkooperative „Nuova Scena“ ging es zum Theaterkollektiv „La comune“, mit dem er 1974 ein eigenes Haus beziehen konnte. Mit seinem „Theater der großen Provokation“ reagierte er auf die Terroristenhatz des Staates („Der zufällige Tod eines Anarchisten“), auf den Zustand der Irrenanstalten („Erzengel spielen nicht Flipper“), auf die Legalisierung des Drogenkonsums („Der Papst und die Hexe“). Dario Fo schuf Klassiker des modernen, engagierten Volkstheaters. Fos Stück: politisches Gebrauchstheater, das in letzter Zeit weniger gefordert wurde. Das aber die freie Theaterszene in Deutschland entscheidend geprägt hat. Und das immer noch seine theatrale Wirksamkeit beweist. Hartmut Krug