Comandante Super-XXL

■ Ein apokalyptischer Bolero in Havanna: Die kubanische Autorin Zoe Valdes über ihren neuen Roman "Dir gehört mein Leben" und die Sehnsucht nach der Zeit vor der Revolution

taz: Ihr erster Roman „Das tägliche Nichts“ war traurig und sarkastisch. „Dir gehört mein Leben“ ist nun geradezu apokalyptisch. Haben Sie jede Hoffnung verloren, was die Zukunft Kubas anbelangt?

Zoé Valdés: Die heutige Realität in meinem Land ist in der Tat apokalyptisch, surrealistisch, übertrieben und unglaublich zugleich. Trotzdem bin ich nicht hoffnungslos – nur bezüglich der kubanischen Regierung habe ich tatsächlich jede Hoffnung aufgegeben. Ich bin aber zuversichtlich, wenn ich an das kubanische Volk, vor allem an die Jugend denke. Ich setze dabei besondere Hoffnungen in eine junge Generation von Schriftstellern, die eine außergewöhnliche Kraft besitzen. Einige von ihnen leben im Exil, die meisten aber in Kuba. Leider können die wenigsten von ihnen überhaupt etwas publizieren. In welchem Zustand sich dagegen die kubanische Regierung befindet, zeigt ein Gerücht, das kürzlich die Runde machte: Fidel Castro sei tot, hieß es, und das ganze Land hing für einen Moment an diesem Gerücht. Wenn aber das Schicksal einer Regierung und eines Landes von einem Gerücht abhängt, zeigt das doch, welchen Grad an Dekadenz das Ganze erreicht hat.

Ihr Roman besteht aus zwei Teilen: vor und nach der Revolution. Die Schilderung des vorrevolutionären Havanna der Cabarets, Tanzlokale und Boleros fällt genauer, zärtlicher und auch realistischer aus als die Zeit nach 1959.

Cuca Martinez ist eine Person, die mehr in die Welt der 50er Jahre gehört, die dort ihre Jugend, ihre beste Zeit erlebt hat, die dieser Welt verhaftet bleibt und nicht versteht, was nach 1959 passiert. Die Zärtlichkeit, von der Sie sprechen, hängt mit der Sehnsucht der Protagonistin nach der verlorenen Jugend zusammen, etwas, das wohl jede Person kennt, wenn sie älter wird. Und mit dem Verschwinden der Cabarets und Boleros im Havanna nach der Revolution verliert Cuca auch einen gewichtigen Teil von sich selbst. Damit ist die Geschichte Cucas auch die Geschichte einer Stadt, erzählt anhand der 60 Jahre im Leben dieser Frau.

Sie sind 1959 geboren, kennen also das vorrevolutionäre Kuba nicht aus eigener Anschauung. Woher die Detailtreue bei der Schilderung jener Zeit?

Sie kommt einerseits von literarischen Vorbildern, aber auch aus den Erzählungen älterer Leute. Mein Roman erweist verschiedenen Größen der kubanischen Literatur seine Referenz, allen voran Guillermo Cabrera Infante, aber auch José Lezama Lima und Reinaldo Arenas. Vieles habe ich auch aus Texten der Boleros und Sones verarbeitet. Und ich beziehe mich auf Dinge, die mir meine Mutter und meine Großmutter erzählt haben. Beide waren arm. Sie betonten stets, wie hart man damals für einen Peso arbeiten mußte. Nur konnte man sich für diesen Peso immerhin etwas zu essen kaufen, während unser Geld heute nahezu wertlos ist. Meine Mutter und Großmutter waren arm mit Würde, aber sie mußten sich nicht prostituieren, nur um essen zu können, wie heute viele kubanische Frauen.

Die Verklärungen und Übertreibungen in „Dir gehört mein Leben“ kippen manchmal ins Surreale. Warum?

Ich bin damit einverstanden, daß es imaginative Teile im Roman gibt, vor allem was das Atmosphärische betrifft, aber der Ausgangspunkt bleibt stets realistisch. Die Situation Kubas ist an sich schon surreal und übertrieben, in dem Sinn, daß Negatives so extrem ist, daß es sich ins Positive verkehren kann. Ich denke da an meine eigene Biographie. Ich bin trotz und dank der Revolution Schriftstellerin geworden. Durch die krasse Notsituation habe ich Fähigkeiten erworben, die mir später wieder zugute kamen. So habe ich mir beispielsweise in den siebziger Jahren auf Kuba nicht erhältliche Bücher von Marguerite Duras und Marguerite Yourcenar ausgeliehen und sie von Hand kopiert, weil der Zugang zu Fotokopierern kaum möglich war. Da lernt man etwas, wenn man Bücher Zeile für Zeile abschreibt. Interview: Geri Krebs

Am 12. Oktober erhält Zoé Valdés den diesjährigen LiBeraturpreis, eine Auszeichnung, mit der auf Schriftsteller aus den Ländern des Südens aufmerksam gemacht wird