Bajuwarische Briefbomben
: Verschwörung als Einzeltat

■ Nach der Festnahme des Attentäters Franz Fuchs ist von österreichischen Intellektuellen, die zuvor eine große Verschwörung von rechts gewittert hatten, nur wenig zu hören

Wenn der erste Schauder verdaut ist, kommen die Karikaturisten. Ein Strichmännchen mit verbundenen Armstümpfen zieht in einem Innenhof vor vergitterten Fenstern – Fußspuren deuten es an – seine Kreise. Die Zeile darunter lautet: „Die BBA marschiert.“ Das Phantom der rechtsextremen „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ (BBA) hat die Republik Österreich seit dem 3. Dezember 1993 in Angst und Schrecken versetzt. Die Bilanz des Terrors: vier Tote beim Bombenanschlag auf eine Romasiedlung im burgenländischen Oberwart im Februar 1995, 15 Schwerverletzte in fünf Briefbombenserien. Nicht zu beziffern ist der politische Schaden für die Republik.

Auf die vehementen Betroffenheitskundgebungen nach den ersten Bombenserien folgte öffentliche Ratlosigkeit, die sich zusehends in Gleichgültigkeit flüchtete. Der intelligente Zynismus der „Bajuwarischen“-Bekennerschreiben hatte die Grenzen des kollektiven Solidarisierungsvermögens präzise eingeschätzt. Die Opfer der Briefbomben sind mehrheitlich gerade nicht exponierte Personen des öffentlichen Lebens, sondern Menschen, deren humanitäres Engagement Flüchtlingen galt. Den katholischen Pfarrer aus der Steiermark, die über 70jährige Flüchtlingshelferin aus dem Weinviertel hat die österreichische Öffentlichkeit schnell wieder in der Anonymität zurückgelassen. Als Gezeichnete unglücklichen Geschicks bleiben sie dem leisen Raunen des Pöbels ausgesetzt, daß es irgendwie nicht gut ist, sich für Fremde einzusetzen, weil man sich dabei die Finger verbrennt.

Ohne Einbußen für die politische Karriere konnten Jörg Haider und seine FPÖ-Bewegung paranoide Denkgebäude verbreiten, von einer Verwicklung exjugoslawischer Geheimdienste bis hin zur linksradikalen Provokation, die dem deutschnationalen Lager das Morden in die Schuhe schieben sollte. Fleißig kombiniert haben aber auch die österreichischen Medien. Wo die Ermittler im Mustopf tappten, schwärmten die Philip Marlowes der Wiener Redaktionsstuben aus und verfolgten jede Spur, die zur Titelgeschichte führte.

Verschwörung witterte allerdings auch die spärlich vertretene linke Intelligenz des Landes. Daß die Exekutive nach den Briefbomben im rechten Lager kein Stammheim veranstaltet hat, machte die Republik einmal mehr verdächtig, auf dem rechten Auge blind zu sein. Alles schien plötzlich zusammenzupassen, die alten Nazis in den Kärntner Gebirgstälern, der politische Aufstieg Jörg Haiders, die Immobilität der Polizei in der Briefbombencausa und der Rassismus in den Wiener Boulevardblättern. Wurde hier nicht das Wort zur Tat, wurden aus der antisemitischen und fremdenfeindlichen Hetze eines Wiener Kolumnisten die Briefbomben? Über „50 Prozent“ der Österreicher schienen mit nationalsozialistischem Gedankengut affiziert, prominente Schriftsteller philosophierten öffentlich über das Auswandern. Nun, wo der Betroffenheitsgewinn dahin ist, sind diese Stimmen weg. Dabei wäre ohne Verschwörungstheorie über den österreichischen Sonderweg nach 1945, das Überdauern völkischer Ideologie in der Abschottung vom Westen und die heimliche Solidarisierungsbereitschaft mit alten und neuen Kameraden sinnvoll zu diskutieren. Die Chance, den Intellektuellen als Instanz in diesem Lande zu etablieren, wurde einmal mehr vertan.

Die österreichische P2-Loge, die Verschwörung, die alles erklärt, von der Erstarrung des politischen Systems bis zum rechten Terror, sie wurde nicht gefunden. Die Bataillone der „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ marschieren höchstwahrscheinlich nur in der Phantasie eines genialen Versagers. Der erste Schrecken ist verraucht. Der bei einer Verkehrskontrolle zufällig festgenommene Attentäter Franz Fuchs ist längst zur öffentlichen Freakshow geworden. Seine Eltern werden in den nächsten Tagen sogar in eine voyeuristische Talkshow vor die laufende Kamera gezerrt. Die Polizei dankt „Kommissar Zufall“ und hofft, daß nichts mehr nachkommt. Doch die Erinnerung an die Verwundbarkeit des Staates durch den rechten Terror läßt sich auch durch Fahndungserfolge nicht mehr tilgen. Uwe Mattheiß