piwik no script img

Verlorene Perspektiven

Aus Los Angeles kommt die Ausstellung „Exil“ über europäische Emigranten in die Berliner Nationalgalerie  ■ Von Katrin Bettina Müller

Schmelztiegel Amerika: Das Kratzen am Idealbild des toleranten Einwanderungslandes trifft ins Herz des amerikanischen Selbstverständnisses. Letztes Jahr erschien der Roman „Accordion Crimes“ der amerikanischen Bestsellerautorin E. Annie Proulx. Sie erzählte ein Jahrhundert Geschichte der Emigranten aus Sizilien, Deutschland, Frankreich, Portugal, Polen und Mexiko als eine fortgesetze Kette von Entwurzelung, Einsamkeit, Diskriminierung, Ausgrenzung, Ignoranz und Rassenhaß. Fast alle ihre Protagonisten enden im Sog der Katastrophe.

Damit verglichen sind die Geschichten der 23 europäischen Künstler, deren Weg ins Exil die Kuratorin Stephanie Barron vom Los Angeles County Museum in der Ausstellung „Exil“ verfolgt, fast Erfolgsstorys. Doch mit dem Roman teilt sie den kritischen Rückblick auf die amerikanische Einwanderungspolitik, die sie in einem kurzen Film dokumentiert.

Nur wenige Flüchtlinge waren in den 30er und 40er Jahren so willkommen wie die Elite der Künstler und Wissenschaftler. In einer Umfrage 1939 stimmten 83 Prozent der Amerikaner gegen die Aufnahme von Ausländern, weil sie die Zunahme der Arbeitslosigkeit fürchteten. Das Argument kennt man hier und heute; ebenso vertraut mutet Roosevelts Kalkül an, sich nicht für eine Erhöhung der Einwanderungsquoten einzusetzen, um seine Wiederwahl nicht zu gefährden. Dokumentiert wird ein Memorandum des Außenministeriums, die Visavergabe zu verzögern. Doch daneben belegen Faltblätter, Spendenaufrufe und Briefe das private Engagement zur Rettung von Flüchtlingen, besonders des Emergency Rescue Committee. So bildet der Kampf der Menschlichkeit gegen die politische Taktik für die Geschichte der Künstler im Exil einen Rahmen, der angesichts der gegenwärtigen Flüchtlingswellen und ihrer Abwehrstrategien kaum aktueller sein könnte.

Auf den Außenwänden der dunklen Ausstellungsboxen stehen lange alphabetische Listen von emigrierten Künstlern, ein endloser Zug der Verfolgten. Kunst als ergreifende Geschichtslektion – kein anderes Kapitel ist dazu so geeignet wie die 30er und 40er Jahre. Schon mit der Rekonstruktion der nationalsozialistischen Kampagne „Entartete Kunst“ begann Stephanie Barron vor einigen Jahren Politik als unausweichlichen Rahmen der Kunst zu thematisieren. Die Fortsetzung des spektakulären Ausstellungsthrillers setzt mit den Reaktionen der nach London und Paris geflohenen Künstler auf diese Diffamierung ein. In ihren Flugblättern und auf Lehrtafeln rutscht die Kunst bildlich in die Fänge der Politik und wird zum sichtbaren Opfer der faschistischen Zerstörung. Germanen mit Hakenkreuzen auf den Beilen und Hexen tanzen im Hintergrund der brennenden Bücher von Thomas Mann, Heinrich Heine und Karl Marx. Stahlhelmsoldaten jagen Charlie Chaplin und Mickey Mouse aus dem Land. Diesen anrührend naiven Agitprop hatten deutsche Künstler in Paris für die Weltausstellung 1939 in New York entworfen. Doch politische Konzessionen an Deutschland verhinderten ihre Aufstellung.

Wie hat das Exil die Sprache der Künstler verändert, wie haben sie auf die erzwungene Ideologisierung reagiert, wie konnten sie den Bruch persönlicher und beruflicher Bindungen aushalten?

Künstler wie John Heartfield und Oskar Kokoschka fühlten sich im englischen Exil mehr denn je verpflichtet, ihre Kunst als Mittel der politischen Aufklärung zu benutzen. Für Max Beckmann oder Wassily Kandinsky stand dagegen das Beharren auf der Autonomie der Kunst im Vordergrund. In der deutschen Kunstgeschichtsschreibung ist das Brennglas deshalb schon lange auf jene Zeit gerichtet, wenn es um die Problematik der ethischen Verantwortung der Kunst geht. Deshalb begegnet man diesen Künstlern auch in der Ausstellung „Deutschlandbilder“ wieder.

Diese Epoche jetzt von Amerika aus erneut zu befragen ist möglicherweise ein Echo auf die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um politisch korrekte Kunst.

Ein kleine Collage von Kurt Schwitters wird in einer Vitrine mit Dokumenten über die Internierung feindlicher Ausländer auf der Isle of Man gezeigt. Hier wurde Schwitters, der von Norwegen 1940 mit seinem Sohn nach England weiterfliehen wollte, 18 Monate festgehalten. Trotz der Bedingungen des Lagerlebens entstand eine kleine Blüte der Exilkultur: Schwitters arbeitete an der Lagerzeitung, schrieb und nutzte jeden Abfall für Collagen. Walter Trier, den man heute fast nur noch als Illustrator von Kästners Kinderbüchern kennt, entwarf eine ironische Fibel, die das „Steinzeit“-Verhalten der Nazis der „Dekadenz“ ihrer Feinde entgegenhielt. Dies waren keine politischen Waffen von großer Wirksamkeit, für die Künstler selbst aber wichtige Positionsbestimmungen.

Arbeits- und Lebensbeschränkungen als feindlicher Ausländer erlebte auch der ungarische Fotograf André Kertez. Natürlich half ihm die Kamera, die neue Welt kennenzulernen nach seiner Ankunft in Amerika: Hochhausschluchten, Wäsche zwischen den Feuerleitern, Arbeiter an der Werft, Passanten, Anzeigen, Denkmäler. Vom Betrachter verlangen die Bilder Zeit, denn sie legen den Fokus nicht eindeutig fest. 1941 wurden Kertez Außenaufnahmen verboten, weil er als Ausländer verdächtig war. So blieb ihm nichts als die Isolation des Ateliers.

Der Katalane Salvador Dali, der seine Ankunft in den USA mit der von Christoph Kolumbus verglich, mischte dagegen mit, wo er nur konnte: in der Werbung, als Krawattendesigner und bei den Disney-Produktionen. Leider erzählt davon nur der Ausstellungstext; gezeigt werden Bilder, die er in einer vom täglichen Geschäft abgesparten Stunde malte.

Den größten Einfluß auf die amerikanische Kunst gewannen die Architekten und Künstler des Bauhaus, die vielfach als Lehrer in die USA eingeladen wurden. Für sie bedeutete das Exil einen Karrieresprung: Mies van der Rohe, Walter Gropius, Laszlo Moholy- Nagy, Josef Albers, Marcel Breuer. Ihre am Bauhaus entwickelten Lehrmethoden, die auf einer modernen Materialkunde und nicht auf einem überholten Gattungsgefüge basierten, veränderten das amerikanische Erziehungssystem nachhaltig. Zwar wurde die Architektur der „weißen Städte“ oft nur stilistisch, um ihren sozialen Anspruch verkürzt, rezipiert; dennoch konnten die Bauhäusler in Harvard, Chicago, New York und am Black Mountain College ihr Programm einer Versachlichung und Funktionalisierung der Kunst ausbauen.

Modellnachbauten von Peggy Guggenheims Surrealistengalerie und Piet Mondrians letztem Atelier in New York, Fotos, Kataloge und Ausstellungrezensionen skizzieren den Kunstbetrieb der 40er Jahre. 1942 stellt Pierre Matisse, der ebenso wie Guggenheim zu den Förderern der europäischen Künstler gehörte, in seiner New Yorker Galerie die „Artists in Exil“ vor.

Schon damals waren Max Ernst, Marc Chagall, Fernand Léger, Piet Mondrian, André Masson und Jacques Lipschitz berühmt. Aber die Künstler wollten ihren Erfolg nicht dem Status als politisch Verfolgte verdanken. Denn besonders in die Rezeption der surrealistischen Malerei hatte sich bald ein Interpretationsmuster eingeschlichen, das die Neue gegen die Alte Welt ausspielte.

Um der künstlerischen Freiheit willen waren die Künstler geflohen, gewiß; doch schleppten sie nicht trotzdem an den Fesseln der euproäischen Traditionen? So sah sich Max Ernst als akademischer, gegenständlicher und dekadenter Maler angegriffen.

Die Gruppenfotos der Exilanten täuschen. Noch in Paris, für viele die erste Station des Exils, hatte ein Netz von Beziehungen zwischen Künstlern, Händlern und Publikum ihre Vereinsamung aufgefangen; in New York funktionierten die vertrauten Kommunikationsformen nicht mehr, nicht nur wegen fehlender Cafés. Die steinernen Krusten, die Max Ernsts Figuren wie Muschelschalen ummanteln, lassen etwas von dem erzwungenen Rückzug auf das eigene Subjekt ahnen. Die Unzufriedenheit in der Neuen Welt konnte aber auch auf ethischen Skrupeln beruhen.

Der Zwiespalt, die eigene künstlerische Freiheit um den Preis der politischen Passivität erkauft zu haben, quälte den Franzosen André Masson ebenso wie George Grosz, der sich in seinen Bildern von den Toten des Zweiten Weltkriegs verfolgt sah. Mitten in der „Freiheit“ war ihnen die Perspektive ihrer Arbeit abhanden gekommen.

„Exil: Flucht und Emigration europäischer Künstler 1933–1945“. Berlin, Neue Nationalgalerie, bis 4.1. Dienstag bis Freitag 9 bis 17 Uhr, Samstag/Sonntag 10 bis 17 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen