: Liebesschwindler
■ In Leipzig hat Armin Petras sein Outlaw-Drama "Hund" urauf- geführt. Sehr hübsch, aber harmlos mit Bluesbrüdern in Badeschlüpfern
Gehen zwei Polen im Seebad auf Frauenfang ... Nein, es ist eine traurige Geschichte, die beiden können ja nicht anders. Arbeitslos wie sie sind, in harten Zeiten. Und einer von ihnen sieht gut aus, während der andere Talent fürs Geschäftliche hat. Also? Natürlich brauchen sie einen Hund, und es muß ein richtiger, großer Hund sein, kein Schoßhündchen, „nur dann gibt es ein Problem, nur dann kommt es zur Tragödie“.
Und das geht so: Fast am Ende, wenn die einsame, aber wohlhabende Ausländerin zu lieben begonnen hat und Er, der eine Pole, sagt, er könne nicht mit nach Amerika kommen, weil er Schulden habe, wenn er dann, bevor er sich ein bißchen vergiftet, wenn er dann zuvor den Hund erschießt, den Hund mit „Honigsternen in den Augen“, dann wird sie gerührt sein und ergriffen und dankbar, daß in der Pistole nur ein Schuß war und der dem Hund galt, und sie wird Schuldgefühle bekommen wegen des Hundes und dann trotzdem wieder dankbar sein. Und sie wird Robert, dem anderen Polen, den Koffer mit 23.000 Irgendwas geben. Damit er, als Freund, die Sache mit den Schulden regelt und ein Visum besorgt.
Hinterher müssen sie dann mit dem Mann teilen, der ihnen das Geld für den Aufenthalt im Seebad vorgestreckt hat: Robert, der alles arrangiert hat, und Er, der aufpassen muß, daß er sich nicht verliebt. Was nicht gelingt.
Wie gesagt, eine traurige Geschichte. Aber auch eine lustige, ein Gaunerstück, ein sozialkritisches. Armin Petras, der Regisseur, hat es selbst geschrieben: kürzeste Szenen in knappster Sprache nach Motiven „bei Marek Hlasko“, wie es rätselhaft heißt. Bei Marek Hlasko war möglicherweise die existenzialistische Grundstimmung zu holen, die die Sehnsucht nie ganz verdrängt, die Bereitschaft zur kriminellen Notwehr, die hungrige Leidenschaft.
Und der Hund? Der fand sich da wohl auch.
Marek Hlasko wurde nur 35 Jahre alt. In Warschau geboren, starb er bei Wiesbaden. Er war als Autor eine polnische James-Dean- Figur, was ihm ein Jahr Gefängnis einbrachte, dann wanderte er aus. Petras bezeichnet ihn im Programmheft als Mitglied seines „Clubs der toten Dichter“, was sich gut macht. Die Inszenierung aber ist zur Lebendigkeit entschlossen.
Wobei Arbeiten von Armin Petras ohnehin nie unlebendig sind. Denn neben und hinter dem Text stehen die Darsteller ständig in Kontakt zueinander. Sie hören zu und spielen mit, auch wenn sie gerade nicht dran sind. Sie entwickeln eine zeichenhafte Geheimsprache, bringen Requisiten oder signalisieren, wie es weitergeht. Eine Metaebene, die nicht dazu dient, die Figuren auf scheinbar private Weise zusätzlich zu kennzeichnen, sondern die eine verfremdende Distanz zum Stoff schafft, eine fröhliche Seelenruhe, die einem so aufmunternd zuwinkt, daß man umstandslos bereit ist, sich den Abgründen dieser und jeder anderen Welt zu stellen.
Schade, daß diese Bereitschaft diesmal nicht gebraucht wird, was eben von einem Zuviel an Lebendigkeit kommt. Man sitzt da, macht sich nach den ersten Verfremdungen gefaßt – und sieht dann bloß Schauspieler komisch sein. Was auch hübsch ist, wozu es aber keiner zwei Ebenen bedürfte. Mal schauen, was noch bleibt.
Das Bühnenbild. Die Neue Szene Leipzig ist die Kammerbühne des dortigen Schauspiels und ziemlich klein. Peter Schubert hat einen dekorativen, arkadenartigen Gang erbaut, mit gelbgefälteltem Baldachin und verschlungenen, blau-rot getünchten Wänden, von Bauleuchten illuminiert. Aparter, aber schwieriger Platz, der so eigentlich gar nicht gebraucht wird. Sand auf dem Boden. Das wiederum ist klasse, wie Sie und Er, als sie am Strand zusammentreffen, spielen, daß der Sand glühendheiß ist: slapstickhafte Liebe zum Detail.
Überhaupt Slapstick! Der Film „Blues Brothers“ habe diese Inszenierung inspiriert, informiert das Programmheft mit treuem Herzen, und in der Tat, das kann man sagen. Peter Kurth als Robert und Wilhelm Eilers als Robert und Er sind zwei derart bluesige Brüder und Men in Black, mit rosa Hemden, Schlips und Sonnenbrillen, später oben ohne in blauen Badeschlüpfern auf Halbmast.
Es wird viel improvisiert und extemporiert, expressionistisch gestikuliert und so sinnenfroh gehüpft, daß die Melancholie von Er, der sich schon im Vorjahr verliebt hatte und am Ende aussteigen wird aus der Liebesschwindler-Ehe mit Robert, die seine emotionale Halbwertzeit übersteigt und doch das einzige ist, was ihn ernährt, daß diese Melancholie letztlich nur in einer Szene mal rasch zum Thema wird.
Als ob Petras, die Sentimentalität wie der Teufel das Weihwasser fürchtend, vor seinem eigenen Text immer nur davongestürzt sei. Den Geldverleiher flugs in einen schwitzenden Vampir verwandelnd (Axel Neumann), die Geliebte vom letzten Jahr als halbnackte Tänzerin mit Leopardenhaut über die Bühne oder ins Bett schickend (Lara Kugelmann) und die wirklich bezaubernde Lisa Martinek als alleinerziehende Amerikanerin namens Sie zu einer rührend zappelnden Freiheitsstatue machend, mit einer blauen Blume in der Hand.
Bliebe der Hund. Am Anfang ist er ein kleiner, grauer Plüschhund in Roberts Hand, dann eine durchlöcherte Maske aus grauen Lappen und Strickohren, die jeder mal trägt.
Merke: In jedem von uns steckt ... Wobei sich der Hund in dir wahrscheinlich noch recht behaglich anfühlt. Gefährlicher wäre es, wenn Petras den Untertitel seines Stückes inszeniert hätte. Der nämlich lautet: „Ich bin zu alt für Amerika“, was – wie im Programmheft sehr richtig steht! – doch jeder von sich denkt. Eigentlich. Auf der Bühne sieht man das aber nicht. Dort geht es statt um Sehnsucht bloß um Frohsinn, bei dem zwar auch die Hosen runtergelassen werden, was aufgrund des Gemeinschaftsgefüges der Darsteller aber ganz und gar gefahrlos bleibt.
Gehen zwei Polen im Seebad auf Frauenfang. Sie treffen eine Amerikanerin. Da sagt der eine... Petra Kohse
„Hund. (Ich bin zu alt für Amerika)“ von Armin Petras. Regie: Petras. Bühne: Peter Schubert. Mit Wilhelm Eilers, Walter Jäckel, Wolfgang Jaster, Lara Kugelmann, Peter Kurth, Lisa Martinek, Axel Neumann u.a. Schauspiel Leipzig. Neue Szene.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen