■ Nebensachen aus Johannesburg
: Im Verkehr vereint

Das Leben im Ausland zeichnet sich mitunter durch eigentümliche Emotionen aus, gemeinhin Heimweh genannt. Man spricht nicht gern darüber. Schließlich hat es so gar nichts Weltläufiges, auf einer der in Südafrika so beliebten Grillparties von einer Bratwurst mit Senf oder unter wolkenlosem Himmel von einem sanften Regen zu träumen. Oder von einem Leben ohne Auto.

Die Wirklichkeit, sie ist nicht so. Man stopft weiterhin Fleischportionen in sich hinein, die binnen weniger Minuten den Jahresbedarf decken, versprüht jeden Tag im Garten bedenkenlos das kostbare Wasser und fährt mit dem Auto zum Briefkasten. Alles andere ruft nur verständnisloses Kopfschütteln hervor. Selbst bei Tageslicht betrachten es die meisten weißen Johannesburger als pathologisch, zu Fuß zu gehen, schon gar in der Innenstadt. Das sei eine Aufforderung zu Mord und Totschlag. Wer es trotzdem tut, ist entweder verrückt, arm oder Ausländer.

Die Johannesburger sprechen ständig und mitunter fast schon lustvoll über Kriminalität, Mord und Totschlag, eigenartigerweise aber nie über die Zustände auf ihren Straßen. Dabei herrscht dort das Faustrecht. Die Zahl der Unfalltoten ist horrend, doch darüber regt sich niemand auf.

Im Großraum Johannesburg bewegen sich jeden Morgen und Abend Millionen von und zur Arbeit. Dann geht auf den Ausfallstraßen und Autobahnen nichts mehr.

Wer lange im Stau steht, hat selber schuld. Im Zweifelsfalle wird rückwärts gefahren, umgedreht oder querfeldein gefahren. Wer die Spur nicht frei macht, zieht sich den Zorn aller zu, egal welcher Hautfarbe. Im Auto sind alle Südafrikaner wahrhaft gleich.

Doch auch wenn der Verkehr fließt, jagt ein Adrenalinstoß den nächsten. Wer mit 140 Stundenkilometern auf der Autobahn fährt, muß damit rechnen, von allen Seiten wie von wild gewordenen Hummeln überholt zu werden. Auch die Tugenden, wenigstens einen halben Meter Abstand zu lassen oder gar durch Blinken einen Spurwechsel anzuzuzeigen, gelten hierzulande als feige und unsportlich. Die „winning nation“ gibt allzeit Vollgas und rast mit 120 durch die Stadt.

Schilder, die Geschwindigkeitsbegrenzungen anzeigen, sind ohnehin eine Verschwendung von Steuergeldern. 40 Prozent aller Autofahrer in Südafrika, so wird geschätzt, haben gar keinen Führerschein. Für ein paar Rand kann man den Wisch kaufen. Erst kürzlich mußte eine Spezialeinheit der Polizei aufgelöst werden, die Fälschungen ahnden sollte. Die acht Männer zogen es vor, durch schwunghaften Handel mit dem begehrten Papier ihr Gehalt aufzubessern. Weil die Polizei neuerdings aber immer mehr unter Druck gerät, zirkuliert auch hier das Zauberwort von der Polizeipräsenz.

Jetzt übertreibt sie es. Vorletzte Woche wurde ich in einer Geschwindigkeitskontrolle geschnappt. Vor zwei Tagen bekam ich in der Innenstadt eine saftige Strafe, weil ich angeblich verbotenerweise in der zweiten Spur abgebogen war. Außerdem hatte ich keinen Führerschein dabei. Das halte ich für kleinlich. Wo einem doch selbst die Polizei rät, in die Innenstadt keine Dokumente mitzunehmen. Doch es gibt Trost. Strafzettel zahlt hier ohnehin keiner – außer Ausländern wie mir. Kordula Doerfler