Sieg für Nichtraucher. Die US-Tabakindustrie zahlt 300 Millionen Dollar in einen Fonds zur Erforschung der Risiken und Nebenwirkungen des Passivrauchens. Eine an Lungenkrebs erkrankte Stewardeß hatte sie in Miami vor Gericht gezerrt. Nun za

US-Amerikaner haben es gut. Seit Jahren sorgt eine aktive Anti- Raucher-Lobby dafür, daß sie weniger von Zigarettenqualm belästigt werden als Nichtraucher hierzulande. Am vergangenen Freitag haben die Kämpfer gegen die Tabakindustrie einen weiteren Etappensieg errungen. Die großen Tabakfirmen Brown & Williamson, Philip Morris, R.J. Reynolds und Lorillard haben beim ersten Musterprozeß über die Gefahren des Passivrauchens in Miami zugestimmt, 300 Millionen Dollar für einen Fonds zur Erforschung der Folgen des Passivrauchens zur Verfügung zu stellen.

Der Fonds ist nach der 42jährigen American-Airlines-Stewardeß Norma Broin benannt. Sie hatte gemeinsam mit 60.000 anderen Flugbegleitern auf fünf Milliarden Dollar Schadenersatz geklagt, nachdem sie 1989 an Lungenkrebs erkrankt war. Im Jahr darauf war das Rauchen auf allen Inlandsflügen verboten worden.

Broin ist Nichtraucherin und führt ihren Lungenkrebs auf rauchende Flugpassagiere zurück. Sie begrüßte am Wochenende den Vergleich: „Passivrauchen ist endlich als gefährlich für die Gesundheit von Nichtrauchern anerkannt. Dieser gerichtliche Vergleich setzt Maßstäbe.“ Tatsächlich ist es das erste Mal, daß die Tabakindustrie freiwillig Geld bei einer solchen Gruppenklage zur Verfügung stellt. Im Gegenzug läßt die Anti- Raucher-Lobby zwar die 1991 eingereichte Milliarden-Gruppenklage der Stewards und Stewardessen fallen, auch bekommen die geschädigten Flugbegleiter nach dem Vergleich kein Geld. Doch können sie jetzt individuell auf Schadensersatz klagen. 24 von ihnen haben am Wochenende diesen Schritt angekündigt.

Die Tabakkonzerne stimmten in Miami auch einer Umkehr der Beweislast zu. Künftig sind sie es, die nachzuweisen haben, daß Tabakqualm in den Flugzeugen für die Erkrankungen einzelner Flugbegleiter nicht verantwortlich ist. Außerdem versprachen sie, sich dafür einzusetzen, das Rauchen künftig auch auf internationalen Flügen zu verbieten.

Die Konzerne hatten allen Grund für diese flexible Haltung. Im Juni hatten sie mit den Gesundheitsbehörden vieler US-Staaten vereinbart, knapp 370 Milliarden Dollar an Behörden und Opfer des Rauchens zu zahlen und dafür von weiteren Schadensersatzforderungen freigestellt zu werden.

US-Präsident Bill Clinton legte unter dem Druck der öffentlichen Meinung erst vor wenigen Wochen nach und verlangte deutlich höhere Zigarettenpreise, damit die Zahl rauchender Jugendlicher abnähme. Ein weitergehender Prozeß hätte das öffentliche Klima für die Tabakkonzerne weiter verschlechtern können.

Zum anderen waren während des seit vier Monaten laufenden Musterprozesses des Flugpersonals immer neue Informationen über die Gefährlichkeit des Passivrauchens bekannt geworden. Schon vor zehn Jahren hatte das US-Gesundheitsministerium eine Verbindung zwischen Passivrauchen und Lungenkrebs hergestellt. 1993 hatte die US-Umweltbehörde EPA festgestellt, daß Passivrauchen für jährlich 3.000 Krebstote in den USA verantwortlich sei. Außerdem stufte die EPA Tabakrauch in die oberste Klasse krebserregender Stoffe ein, gemeinsam mit dem strahlenden Edelgas Radon aus dem Uranbergbau. Um diese Einstufung vom Tisch zu bekommen, strengten die Tabakkonzerne damals sogar Klagen gegen die Regierung an. Ohne Erfolg.

Eine während des Prozesses veröffentlichte Breitbandstudie der kalifornischen Umweltbehörden demonstrierte, daß Passivrauchen nicht nur für Lungenkrebs und Herzkrankheiten verantwortlich sein kann, sondern auch für Kleinkindasthma, plötzlichen Kindstot und Fehlgeburten. Das Bostoner Kinderkrankhaus veröffentlichte eine Studie, nach der Kinder aus Raucherhaushalten nicht nur häufiger an Atemwegs- und Ohrenerkrankungen litten, sondern auch anfälliger für Gefäßerkrankungen seien.

Robert Kaye, der Richter von Miami, hatte den Experten der Tabakkonzerne angesichts der sich verdichtenden Beweise gleich mehrfach untersagt, im Zeugenstand langatmig über andere Krebsrisiken für Stewardessen und Stewards zu referieren. Der Risikoforschung der Tabakkonzerne zu vertrauen sei etwa so gescheit, „wie dem Fuchs die Bewachung des Hühnerstalls zu übergeben“, erklärte Richter Kaye den Juroren. Angriffe der 20 Anwaltskanzleien der Tabakkonzerne wies er zurück.

Einige Zeugen der Tabakfirmen hatten zuvor einräumen müssen, jeweils Aufträge in Höhe von mehreren hunderttausend Dollar von den Konzernen erhalten zu haben. Und James Morgan, der Chef von Philip Morris, wurde vor Gericht mit einem Video vorgeführt, in dem er erklärt, Zigaretten machen „pharmakologisch nicht süchtig“. Rauchen sei ein Verhaltensproblem wie der Griff zur Kaffeetasse „oder in meinem Fall zu Gummibärchen“.

Die Entscheidung der Tabakfirmen, die 300 Millionen Dollar zu zahlen, statt auf ein Urteil zu warten, werteten Experten am Wochenende denn auch als Flucht nach vorn. Rein juristisch gesehen seien die Tabakkonzerne in Miami noch mit einem blauen Auge davongekommen, weil sie kein Schuldeingeständnis abgeben mußten. Allerdings könnten die langfristigen Folgen ökonomisch verheerend sein. „Das eröffnet eine ganz neue Front im Tabakkrieg“, argumentierte etwa Juraprofessor Lawrence Gostin von der Georgetown University in Washington. Bei Rauchern hätten die Juroren der US-Gerichte häufig davon ausgehen können, daß sie um das Risko wußten. „Jetzt haben sie es nicht mehr mit Rauchern zu tun.“

Die Börsianer an der Wall Street nahmen die Einigung von Miami zunächst positiv auf. Die Kurse von Philip Morris und Reynolds stiegen am Freitag mäßig an. Freude über den Vergleich dürfte auch bei den Anwälten der Flugbegleiter aufgekommen sein. Ihr Honorar beträgt 47 Millionen Dollar – zu Lasten der Tabakkonzerne versteht sich. Hermann-Josef Tenhagen