Gut Holz holt man mit dem Kopf

Leben in der Bundesliga (V): Sportkegeln hat mit Reißen von Bierkrügen nichts zu tun, sagen die Keglerinnen von Ahoi Hamburg. Doch das Kneipen- und Spießerimage klebt  ■ Von Rainer Schäfer

Hamburg (taz) – Beiläufig schlagen hinten im Kegelkranz die Kugeln ein. Fünf Würfe, dann Schnaps für die Herren, die Damen schlürfen am Likör. Mit dem Pudelorden über dem Bierbauch gibt der Loser einen aus. Fehlwürfe sind Stimmungsmacher, wenn Fröhlichkeit Trumpf ist.

Kegeln gilt als deutscheste Sportart und gefährlich obendrein. „Da hat man am nächsten Tag garantiert Kopfschmerzen“, heißt es, wenn das Bild des rauschseligen Kegelbruders beschworen wird. Solche Klischees verhindern die Akzeptanz des Sportkegelns als Leistungssport. „Viele meinen, daß Kegeln einarmiges Reißen von Bierkrügen ist. Das hat mit Sportkegeln überhaupt nichts zu tun“, grollt Christin Jacobsen (29), eine von vier Nationalspielerinnen beim Hamburger Bundesligisten Ahoi, dem erfolgreichsten weiblichen Kegel-Sportklub der letzten Jahre.

Die Kunst beim Sportkegeln ist, den richtigen Wurf zu finden – und zu halten. Das Vorspiel: ein dynamischer Anlauf, ein mächtiger Ausfallschritt. Die Kunststoffkugel läuft mit Effet an die Außenkante der Bahn, wechselt die Richtung und zieht ihre Bahn in der Gasse. Hinten bleibt nichts stehen. Das ist dann Resultat filigraner Arbeit. „Wir kegeln mit dem Kopf“, sagt Ahoi-Nationalspielerin Martina Buck (32). Kopf meint: enorme Konzentration und eine ins Meditative übergehende Gelassenheit. Jeder Zenmönch wäre neidisch. Die seltenen Fälle von Kopflosigkeit führen zur größten Unbill: dem Pudel. Die Kugel läuft von der Bahn und geht in die Pudelrinne ab.

Vier von fünf Meisterschaften kegelte Ahoi seit 1993 zusammen. Lediglich vor zwei Jahren fiel man etwas ab: Da mußte man gleich zwei Schwangere „durchziehen“. Beim letzten Saisonfinale im Juli dominierte Ahoi auch die Einzel-, Doppel- und Mixedwettbewerbe. Daß eine größere öffentliche Relevanz ausblieb, ist für die Sportkeglerinnen inzwischen so selbstverständlich wie das kollektive Fallen der Zielobjekte nach einem Präzisionswurf.

Aber ärgerlich werden sie, wenn ihnen Häme entgegenschlägt – wie von Willi Lemke. „Wir sind doch kein Damen-Kegelklub“, dozierte der Manager des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen. „Ich kann jedem Spötter nur empfehlen, mal auf Leistung zu kegeln“, meint Christin Jacobsen. Das bedeutet, auf 100 Wurf einen Schnitt zwischen 735 und 750 „Holz“ zu erreichen, wie er in der Bundesliga üblich ist.

Fußball kennt eh jeder. Die taz- Serie untersucht: Wie lebt es sich in anderen Bundesligen? Bisher erschienen: Judo (30. April), Faustball (27. Mai), Baseball (10. Juni), Moutainbike (2. September)

Ein „Gassenzwang“ erschwert diese Vorgabe: Er schreibt vor, ob die Kugel links oder rechts im Kegelkranz einschlagen muß.

Verloren wie eine Schlange von Schulkindern vor einer Stechimpfung stehen die Keglerinnen in weißen Röcken, Leibchen und Strümpfen in einer viel zu großen Halle. Ist man bei einer Urschrei- Therapie einer Selbsterfahrungsgruppe in Weiß, die sich über den Begriff Holz definiert? Irgendwie ist beim Kegeln alles Holz, der Code, der die Sportart chiffriert. Von der Begrüßung „Gut Holz!“ bis zur Spielwertung, die mit dem Zauberwort berechnet wird: 4.388 zu 4.427 Holz. Die beste Einzelleistung wird als Höchstholz gehandelt, Holz holen meint: Punkte sammeln. Aber Sportkegler brüllen das Wort vor allem, um die Atmosphäre für einen Bundesligaspieltag zu schaffen, die das Publikum nicht leistet, da es wieder einmal nicht erschienen ist.

Alwin Temme, Vorsitzender des Landesfachverbandes Kegeln in Hamburg, ist frustriert. Auf den Kopf könne er sich stellen, aber „unser Kneipenimage werden wir nicht los“. Der Deutsche Keglerbund (DKB) hat 180.000 Mitglieder, verwaltet aber jährlich ansteigende Minuszahlen: „Die Alten sterben weg, die Jungen kommen nicht nach“, klagt Temme (63). Oder wandern wieder ab: In manchem Bundesligaklub haben bis zu 90 Prozent der Nachwuchskegler die Kugel aus der Hand gelegt. Da helfen auch „Kommissionen und Abertausende von Plakaten nicht“, mit denen der Dachverband Jugendlichen Kegeln als „trendy“ zu verkaufen versucht. „Über drei Stunden Wettkampf sind todlangweilig. Schnellere Ergebnisse müssen her“, sagt Temme und fordert Regeländerungen, die das Spiel endlich attraktiver machen sollen.

Der Funktionär, jahrelang Präsident der Sektion Bohle beim DKB, weiß, daß die Diskussionen im Verband „unvorstellbar zäh“ verlaufen. Solange sich nichts tut, bleibt die Bohle-Bundesliga ein Reservat für Kegel-Liebhaber. Von September bis Ende März sind die Klubs unterwegs, der Zeitaufwand ist enorm. Männer-Kegelklub Hamburg 46 hat sich vor kurzem aus Protest gegen den Spielmodus aus der Bundesliga abgemeldet. Samstags nach Hannover und sonntags nach Berlin. Wochenende? Gar nicht dran zu denken.

Zu verdienen gibt es nichts in der Bohle-Bundesliga. Zum Asphalt-Kegeln dagegen werden „ausländische Stars eingeflogen“, wie Alwin Temme weiß, die bis zu 200.000 Mark Jahresgage einstreichen. „Wir zahlen drauf“, bilanziert Christin Jacobsen. Seit die zwölf Teams vor drei Wochen in die neue Saison gestartet sind, ist Ahoi wieder im Dreieck Husum– Hannover–Berlin unterwergs. Da ist der Etat von 1.200 Mark schnell aufgebraucht. Im Nationalteam, das – ohne Sponsor – nur noch einmal im Jahr gegen Dänemark antritt, erhalten die Keglerinnen 36 Mark Tagesspesen. „Ein Witz“, zürnt Temme. „Wollen Sie nur von Erbsensuppe leben?“

So viel Widrigkeiten verbinden auch privat. „Die meisten von uns haben einen Kegler“, rechnet die Runde, die es auf ein Durchschnittsalter von rund 30 Jahren bringt. Gemeinsam läßt sich das Los, einen verpönten Sport auszuüben, leichter ertragen. Ein bißchen verrückt müsse man schon sein, glaubt Martina Buck. Andererseits: Wer kennt schon das Glücksgefühl, wenn auf einer schwierigen Bahn viel Holz fällt?

Daß Manager Lemke sich nach der vierten Meisterschaft bei Ahoi entschuldigt hat, sorgt für Genugtuung beim wöchentlichen Training. „Er hat uns ins Weserstadion eingeladen“, erzählt Christin Jacobsen. Im Hintergrund fällt deutlich das Wort „Abstiegskandidat“. Für Ahoi sieht es gut aus: Zum erstenmal muß man keine Schwangere durchziehen.

Während die Leistungskeglerinnen darben, hat das Hobbykegeln Konjunktur. Die spaßorientierte Fraktion der linken Politszene entdeckte den „Spießersport“ Kegeln Anfang der neunziger Jahre. Partys werden auf der Kegelbahn gefeiert. Das Motto: „Kegeln ist so bescheuert, daß es total gut kommt.“ Vom Kräuterschnaps beseelt, werden die Rituale so exzessiv inszeniert, daß sie zur Karikatur werden. Von den Selbstdisziplinierungsversuchen der Kegel-Ahnen ist nichts mehr zu entdecken. „Völlige Beherrschung des eigenen Ichs ist sehr notwendig“, war Gebot bei den Altvordern. Den Kopf brauchen die Lustgewinn-Kegler für den Schnaps. Immer rein. Und die Kugel in die Pudelrinne. Auch egal.